Bencze Birtok Furmint Tokaj

Zweitgrößte Rebsorte der Welt

Acht Furmints und ein Pirat beweisen den großen Charakter der Rebsorte. Dass der Favorit in der Vorrunde ausscheidet ist so bedauernswert wie lehrreich.

Welchen Platz hat Furmint wohl in der Weltrangliste der spannendsten Rebsorten? Zugegeben, einen der vorderen, den Chardonnay, Pinot Noir, Nebbiolo, Cabernet Sauvignon und vielleicht noch Riesling und Blaufränkisch unter sich ausmachen, hätte er nicht verdient. Aber ich sehe Furmint, die ungarische Leitrebsorte, ganz vorne im Feld der Besten der zweiten Reihe. Das bestätigt vor allem das vordere Drittel der Verkostung.

Da Furmint in der Weinwelt immer noch ein Underdog ist und die Zahl der reinen Furmint-Blindverkostungen in Deutschland einstellig sein dürfte, habe ich die Sorte bislang kaum blind verkostet, obwohl sie zu meinen Lieblingen gehört. Zeit, mein eigenes Weltbild auf die Probe zu stellen.

Versuchsaufbau

Mir selbst waren die Weine der Verkostung bekannt, aber nicht die Reihenfolge, sodass ich zumindest halb blind verkosten konnte – blind genug, um herbe Enttäuschungen hinnehmen zu müssen. Die anderen Verkoster hatten so wenig Informationen wie möglich. Ich wollte wissen, wie Furmint auf professionelle, aber nicht sehr ungarngeübte Verkoster wirkt. Bis auf Weißwein, was sich in Ermangelung schwarzer Gläser nicht verstecken ließ, kannte niemand außer mir das verbindende Glied der Verkostung.

Erkenntnis 1: Furmint hat Charakter

Betrachtet man das wiederkehrende Zusammenspiel aus Textur und Aromen als Charakter einer Rebsorte, hat Furmint einen klar umrissenen Charakter. Aromatisch kann man alle Weine der Verkostung zwischen Riesling und Sauvignon Blanc einordnen: immer wieder Mirabelle, Zitrusfrüchte, nasse Steine und dezente Noten von weißem Spargel. Haptisch präsentiert sich Furmint jedoch trotz rieslingesker Säure deutlich breitschultriger. Selbst griffige, kantige Weine bekommen mit Luft ein Mundgefühl, dass ich gerne Specksteintextur nenne: ölig und speckig, aber weich, nachgiebig und charmant.

Erkenntnis 2: Neo-klassischem Furmint kann der Alkohol Probleme bereiten

Diese Textur kann Winzern auch zum Verhängnis werden, die sich auf ihrem Ruf ausruhend das Alkohol- und Säure-Management stiefmütterlich behandeln. Viele Furmints segeln in Sachen Spritigkeit sehr hart am Wind. Wenn es gut geht und die Säure Präsenz zeigt, ergeben sich so wunderbar kraftvolle, üppige, aber balancierte Weine. Ausgerechnett Szepsys Úrágya 2018 kippte jedoch mit 14,5 Vol.% in eine sehr alkoholische Richtung, die den Wein behäbig und stumpf wirken ließ. Das ist erstens ärgerlich, weil der Úrágya mit 55 € der teuerste Wein der Verkostung war und zweitens unangenehm, weil ich Szepsy immer als sichere Bank für trocken Tokaj empfohlen habe.

István Szepsy ist der Tokaj-Pionier schlechthin. Seine Weine markierten in den 2000ern die neue Moderne des ungarischen Weinbaus und bildeten die Grundlage für das, was heute als klassischer, trockener Furmint gilt. Der 2000er Úrágya war der erste trockene Lagen-Furmint, der in Tokaj gekeltert wurde. Dass ausgerechnet dieses Fundament wackelt, ist lehrreich, aber auch etwas bedauernswert.

Erkennis 3: Furmint ist sehr empfänglich für Natural-Stilistiken

Ganz Ungarn ist derzeit von sogenanntem Naturwein ergriffen. Das ändert auch das Gesicht von Furmint. Rebsorten-Charakteristik nach Maischegärung, Mostoxidation und scharfer Gärreduktion herauszuschmecken ist schwierig, aber mein Empfinden ist, dass Furmint mit seiner qua DNA speckigen Textur und der frischen Säure gut zu in der Naturweinbewegung verbreiteten Stilistiken passt – die beiden Weine an der Spitze unserer Verkostung sind ein weiteres Indiz. Dass Szóló als deutlich maischegeprägtester Wein an Platz zwei steht, dürfte sich mit anderen, weniger naturweinaffinen Verkostern nicht reproduzieren. Dass István Bencze, mit seinem nur in Anklängen naturweinangelehnten Stil, die Konkurrenz förmlich rasierte und an der Spitze steht, ist eher seiner herrlich geradlinigen, druckvollen Textur zuzuschreiben. Der Third-Wave-Furmint schlechthin!

Erkenntnis 4: Furmint schmeckt wie Riesling und Furmint schmeckt nicht wie Riesling

Furmint wird immer wieder mit Riesling verglichen, auch von mir. Daher verwundert es nicht dass, alle Verkoster tippten, gerade Riesling verkostet zu haben. Spannend ist, dass sich alle Verkoster denkbar untypische Flights ausmalten: Riesling 2018 aus warmen Lagen, Riesling Großes Gewächs Baden, Riesling Elsaß gegen Rheingau.

Im direkten Vergleich mit einem Riesling-Piraten – hier ein Riesling von Alex Schregel – zeigt Furmint dann doch sehr deutlich sein opulentes Gewannt, ist spürbar dichter und sehniger. Nun steht noch der umgekehrte Test aus: ein Furmint-Pirat in der Riesling-Verkostung.

Die Weine

In absteigender Reihenfolge von bester zu niedrigster Bewertung

István Bencze – Furmint 2019

Dreimal an der Spitze: im Schnitt, bei mir und bei jedem einzelnen Verkoster. Zitrus, viel Säure, der zupackendste, säuregriffigste Wein der Verkostung. Tafelkreide, Gerbstoff, Johannisbeerkerne, viel oxidierte Granny-Smith-Schale. Sehr komplex und lang, baut Druck auf. Kraft und Nachhaltigkeit scheinen nicht von Hefe zu kommen, sondern vom Zusammenspiel der Furmint-typischen Üppigkeit mit reduktivem Ausbau. Nach Tagen im Kühschrank immernoch finessenreich und Kraft. Der aktuell vielleicht beste trockene Wein Ungarns?
Spektakulär!

Szóló – Puro I. 2019

Viel Hefe, klarer Natural-Stil, heller präziser Böckser, leichter CO2-Schleier. Tolle Kräutrigkeit und Nussigkeit, Senfkörner, Dill, Fencheltee, Erdmandel. Wo Chardonnay mit dieser reduktiven Ausbauweise spitz wird, wird er fett, opulent und cremig.
Empfehlung

István Balassa – Szent Tamàs 2019

Feuerstein und Holzaromatik. Herrliche Frucht, sehr klassisch, Mango, Mirabelle, Spargel, Sesam. Bester Repräsentant des neo-klassischen Tokaj-Stils: üppig, säuredurchzogen, speckige Textur und sehr akzentuierte Frucht. Aber auch etwas zu behäbig auf hohem Niveau.
Empfehlung

Homonna – Határi 2018

Kühl-rauchig, Kaba, Tafelkreide, Senfkörner. Schönes komplexes Fruchtbouquet, Mirabelle, Zitrus, Kalamansi. Dabei stoffig und kräutrig, druckvoll, Backhefe, Bittertöne, Senfkörner, helle Sojasauce. Sehr spannend.
Empfehlung

Alex Schregel – Riesling Rüdesheimer Berg Roseneck 2021 – Pirat

Zitrus, sehr schlank, sehr filigran, Hefe und Oxidation bauen sich langsam mit Luft auf. Gerbstoff, druckvoll. Diesel ohne typischen Petrolton. In diesem Setting spürbar schlanker als die Furmints.
Empfehlung

Kreinbacher – Selection 2020

Phenol und Speckstein-Textur. Mirabelle, Spargel, etwas oxidierter Apfel. Eher warme, offene Textur, Alkohol spürbar. Fehlt irgendwann die Länge. Als günstigster Wein der Verkostung bestens geschlagen.
Empfehlung 89

Barta – Öreg Király Dúlo 2020

Feuerstein am Anfang, Karamellbonbon wie Markenchampagner, rauchig, gelbe Früchte, Mirabelle. Speckige Textur, cremig, druckvoll, dicht. Wirkt etwas alkoholisch, nicht in der letzten Konsequenz elegant.
Empfehlung mit Einschränkung

Kikelet – Tokaj Furmint 2020

sehr cremig, Butter, fast Milch. Dann gute Phenolik, kraftvoll, speckige Textur, eher schwer. Gelbe Früchte, Mirabelle, dann wieder hart. Wirkt sehr wechselhaft, nicht ganz rund, sehr verschlossen und jugendlich. Womöglich zu jung?
Empfehlung mit Einschränkung

István Szepsy – Úrágya 2018

viel Kakao, Rum, Maracuja, Amaretto. Sehr dicht und konzentriert aber auch zu schwer. Zu behäbig und alkoholisch, fehlt Finesse. Sehr gewollt. Der teuerste Wein der Verkostung, der zweitschwächste im Schnitt und der schwächste bei mir. Nicht schlecht aber enttäuschend.
Keine Empfehlung

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1 Kommentar zu „Zweitgrößte Rebsorte der Welt“

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