Naturwein gibt es jetzt auch bei Penny. Wie der schmeckt, sagt viel über die Weinbranche aus und zeigt, dass die Frankfurter Schule kein alter Hut ist
Wein von Penny doof zu finden, ist natürlich einfach. Discounter-Eigenmarken noch dazu. Für 3,99 Euro. Darüber einen Zerriss zu schreiben? Wie Elfmeterschießen ohne Torwart. Doch wir zerreißen hier nicht einfach irgendeinen Penny-Wein sondern den wahrscheinlich ersten sogenannten Naturwein in der deutschen Discounterlandschaft. Orange Natural Wine nennt man ihn bei Penny, wo er exklusiv unter Zuarbeit von Mack & Schühle vertrieben wird. Ausgebaut wurde das Ganze in Rumänien vom etwa 1000 Hektar großen Weingut Cramele Recas – ohne Schwefel, wie Penny sagt.
Der Witz bei schwefelarmen Weinen ist ja der mangelnden Frische eine Strukturfülle entgegenzusetzen
In der Nase erinnert dieser Orange Wine zuerst tatsächlich an vieles, was viele als Naturwein bezeichnen. Hefig, kaum frische Frucht, angelaufene Apfelschale, außerdem – weniger im sogenannten Naturwein zu verorten – ein bisschen Zitronendrops. Im Mund ist das dann schal, dünn und kurz. Der Witz bei schwefelarmen Weinen ist ja der mangelnden Frische und der wegoxidierten Frucht eine Strukturfülle entgegenzusetzen. Doch das hier ist schal, wässrig und schmeckt nach einer Minute im Glas und einer Stunde in der offenen Flasche nach Leitungswasser mit einem Schuss altem Kochwein aus dem Küchenschrank über dem Herd.
Hätte man das vor 20 Jahren – oder wann auch immer – gedacht, als die ersten freakigen Winzer die tradierten Regeln brachen, um neu zu definieren, was guter Wein ist? Es ist jedenfalls faszinierend, wie es Penny, Mack & Schühle und Cramele Recas gelingt, eine Idee die strukturell erstmal auf Umbruch ausgerichtet ist, aufzugreifen, auszuhöhlen und dazu zu verwenden, die Logik des Status Quo zu manifestieren. Kulturindustrie haben Max Horkheimer und Theodor Adorno dazu gesagt. Kultur als Ware, die ihren ästhetischen Wert ihrem ökonomischen Wert unterordnet. Kultur die die Aufrechterhaltung der dominanten Ideologie befördert.
Es ist faszinierend, wie es gelingt, eine Idee die auf Umbruch ausgerichtet ist, auszuhöhlen und dazu zu verwenden, die Logik des Status Quo zu manifestieren
Und tatsächlich, ein Naturwein von Penny, der keinerlei Anspruch an handwerkliche Weinherstellung erkennen lässt, festigt die dominanten Weinhandelsideologien mehr, als dass er sie erschüttert. Er besänftigt potenziell Empörte, die anmahnen könnten, Discounterwein sei zwar lecker aber schmecke irgendwie auch immer gleich. Besänftigt die, die zu hinterfragen ansetzen, ob der Weinhandel dazu in der Lage sei, seine eigenen Verkrustungen auszuspülen. Besänftigt die, die raubbauerische Praktiken der Landwirtschaft problematisieren und sich einen gewissenhafteren Weinbau wünschen. Solch ein Orange Wine von Penny schafft das, was Horckheimer und Adorno ein falsches Bewusstsein nennen. Er heuchelt umstürzlerisches, um den Umsturz zu verhindern.
Aber man kann ja immer noch hoffen. Vielleicht dribbelt sich die Kulturindustrie ja selbst aus. Cramele Recas Orange Wein stand nach ein paar Wochen jedenfalls schon reduziert von 3,99 Euro auf 2,69 Euro auf dem Sonderpostenregal ganz unten zwischen Tütenbolognese und Schokorosinen. Die Freundschaft in Berlin soll währenddessen – von Corona mal abgesehen – immer noch ganz gut laufen.
Na dann. Viva la revolución!
