Gereifter weißer Bordeaux gehört zu den ganz großen Weinen der Welt.
Es ist verzwickt: obwohl Bordeaux das bekannteste aller Weinbaugebiet ist, spielt weißer Bordeaux kaum eine Rolle. Ich kann mich an einen einzigen erinnern, der mir mal in einem Restaurant empfohlen wurde – von Tobias Klaas im Münchner Brothers – und ich kenne auch niemanden, der eine nennenswerte Sammlung an weißen Bordeaux besitzt. Ich selbst habe keine einzige Flasche im Keller. Dabei gehören die Weine, hat man sie mal im Glas, unweigerlich zu den großen der Welt.
Letzten Endes ist es Geschmackssache, aber auf mich üben gereifte trocken Weißweine eine größere Faszination aus als Rotweine. Während sich bei letzteren eine perfekte Reife eher durch wenig Veränderungen ausdrückt, liegt der Reiz trockener Weißer darin, dass sie auf den ersten Blick erkennbar gealtert sind. Immer wieder liegen selbst geschulte Verkoster bei blind probierten Rotweinen Jahrzehnte daneben. Sehr gute Bordeaux aus den 80ern können im ersten Moment manchmal wirklich schmecken wie frisch gefüllt. Perfekte Reife äußert sich dabei nicht in Form ihrer selbst, sondern in Form einer ganz besonderen Harmonie. Der Charme gereifte Rotweine begründet sich in ihrer Alterslosigkeit.
Das ist bei Weißwein anders. Hier äußert sich perfekte Reife als sie selbst – als Reife. Natürlich kann man auch bei Weißwein in Blindverkostungen sensationell daneben liegen und 1960 für 2000 halten. Niemand, der seinen Gaumen einigermaßen im Griff hat, würde aber 2015 mit 1995 verwechseln. Und so muss man sich auf gereifte weiße Bordeaux mehr einlassen als auf gereifte rote Bordeaux. Sie schmecken völlig anders als junge Weißweine und verstecken ihr Alter nicht. Viel mehr setzen sie ihre Reife und die jahrelange Mikrooxidation in Szene. Hat man das einmal verinnerlicht, zeigen alte trockene Weißweine eine einmalige Komplexität.
Die Verkostung: acht mal weißer Bordeaux von 1967 bis 1996
Ich hatte zuvor noch nie in dieser Bandbreite alte weiße Bordeaux verkostet und hatte das große Glück, dass mein Lieblingsweinhändler Sebastian Schütz von Rot Weiß Rosé in Würzburg eine Vertikale verschiedener Produzenten anbot. Dass die Weine noch bestens trinkbar sind, war zu erwarten. Wie hoch das Niveau war, überraschte und begeisterte mich aber dennoch. Auch wenn alle Weine völlig offensichtlich gealtert schmeckten, zeigten sie eine herrliche Harmonie und Reinheit. Die Ich habe selten komplexere Röstaromen in Wein wahrgenommen: nuancierte Karamellnoten, Nüsse, Pilze, Garum. Dass die Oxidation sehr unterschiedliche Aromen hervorbringen kann, zeigen die ganz verschiedenen Sherry-Noten, die mal Amontillado, mal Fino, mal Vin Jaune ähneln.
Darüber, wie diese Weine jung mal schmeckten, lässt sich natürlich nur spekulieren. Aber wenn man sich basierend auf den Moden der 80er und 90er Jahre einen Wein ausmalt, ergibt sich ein fruchtbetonter, reif gelesener, mit Reinzuchthefen und Nährsalzen vergorener, im neuen Holz gereifter und blank filtrierter Weißwein, den ich wohl als Boomer-Brause belächeln würde – und wäre damit wohl nicht allein. Dass genau dieser Stil so gut reift, sollte mir zu denken geben.
Die Weine
Château La Louvière – Pessac-Léognan Blanc 1995
Champignonrahmsauce, Nougat, Pilzgarum, Milch mit Honig, Amontillado-Sherry, Süßrahmbutter, Haselnusscreme. Im Mund im ersten Moment durchaus Zugkraft, dann überwiegt aber doch die Oxidation, auch haptisch, was den Wein recht morbide wirken lässt.
Empfehlung mit Einschränkung