Eduardo Chadwick hat wie kaum ein anderer den chilenischen Weinbau vorangetrieben. 14 Rotweine von 1984 bis 2021 beweisen: auch glatt polierte Weine können Spannung generieren.
Der Anlass des Tastings ist durchaus erwähnenswert, auch wenn ich mich dabei auf die Aussagen Dritter verlassen muss. 2004 ließ Eduardo Chadwick im Ritz-Carlton in Berlin seine Weine, inspiriert vom Judgement of Paris, gegen die großen Namen aus Bordeaux und die damals schon emporgekommenen Super Tuscans antreten. Probenleiter war, wie auch damals in Paris Steven Spurrier. Als Resultat ging – auch wie damals in Paris – ein nicht-französischer Wein als Sieger hervor. Der oft in das Judgment of Paris und in das sogenannte Berlin Tasting hineininterpretierte Schluss, kalifornische oder chilenische Weine wären besser als französische bedürfte eigentlich feinerer statistischer Methoden, als sich einfach nur die Plätze 1-3 im Durchschnitt anzuschauen. Ich denke, unterm Strich kann man sich aber mindestens auf ein Unentschieden einigen. 1976 in Paris und 2004 in Berlin. Und allein das kann man als Sieg er Underdogs ansehen.
20 Jahre später, im Februar 2024, lud Eduardo Chadwick nochmal nach Berlin ein. Auf die Idee, Seña und Viñedo Chadwick blind Château Margaux und Co. gegenüberzustellen käme heute jedoch niemand mehr. Das Paris-Format eignet sich bestens, um in schonungsloser Manier hegemoniale Ansprüche mächtiger Weine zu pulverisieren. Heute ist Chadwick selbst eine Weinmacht. Seña, das mit Robert Mondavi als Joint Venture gegründete Weingut, ist eines der renommiertesten Chiles. Viñedo Chadwick mit etwa 400 € einer der teuersten Weine Lateinamerikas.
Hohes Niveau in allen Phasen
Aber auch ohne das Format der Blindverkostung, glaube ich beurteilen zu können, dass das Niveau aller Weine enorm hoch ist. Gerade weil mir diesen Cabernet-Stil persönlich gar nicht so zusagt: viel Holz, viel Frucht, viel Extrakt, viel Politur. Aber eben wunderbar eingebundenes Holz, hochpräzise Frucht, in Perfektion ausgereiftes Tannin, virtuos in Szene gesetzt.
Bemerkenswert ist, dass sich das hohe Niveau – von wenigen, minimalen Knicken abgesehen – durch die Dekaden zieht, auch wenn sich die Stilistik immer wieder recht deutlich geändert hat. Der 1984er wurde noch ohne Barriques in großen Bottichen aus chilenischer Scheinbuche hergestellt und enthält 12 Prozent Alkohol. In den Nullerjahren waren die Weine, wie sie eben damals waren: dick, schokoladig, fruchtig aber ebenfalls sehr gut gemacht. Heute verfolgt Chadwick wieder einen anderen Stil. Sie sind so wie Weine eben heute sind, könnte man sagen. Sprich: einen halben Prozentpunkt weniger Alkohol als vor 10 Jahren, weniger Neuholz, anteilig im Fuder vergoren und sogar ein wenig flintig und reduktiv.
In allen Flights ist der jeweilige 2021er der für mich faszinierendste und komplexeste Wein. Ich frage mich, ob das daran liegt, dass mir der heutige Stil einfach mehr zusagt oder ob die Weine noch mal besser geworden sind. Das wäre erfreulich: ein Weingut ganz oben feilt an den Details, um noch besser zu werden. Vielleicht – ich erlaube mir hier kein Urteil, weil mir der Vergleich fehlt – stehen sie auch jung etwas besser da als mit Reife. Können sie dann auch im Alter mit den größten Weinen der Welt mithalten? Um das herauszufinden, böte sich das Paris-Format bestens an. Vielleicht ja 2034.
Die Weine
Viña Seña D.O. Valle de Aconcagua
Viña Seña 1998
90 % Cabernet Sauvignon, 5 % Carménère, 5 % Merlot; 14 % Vol. Alkohol;
18 Monate französisches Barrique, 92 % Neuholz
Farblich und in der Nase überraschend helltönig für das Alter. Sehr pure Johannisbeere, leicht balsamisch, durchaus warme Frucht, etwas Lakritz und Holunderbeeren. Vielleicht liegt das auch am fehlenden Petit Verdot, aber für mich entstammt der Wein einer völlig anderen Mode als die Weine der Nullerjahre. Weniger Bitterschokolade, Kaffee und Kompottfrüchte, aber auch deutlich aufpolierter und perfektioniert als die authentisch-rustikalen Weine der 80er. Das Alter macht sich zwar nicht durch störende Reifenoten selbst bemerkbar, aber der Wein verliert mit Luft eher an Komplexität, als zusätzliche aufbauen zu können.
Empfehlung
Viña Seña 2008
57 % Cabernet Sauvignon, 20 % Carménère, 10 % Merlot, 8 % Petit Verdot, 5 % Cabernet Franc; 14,5% Vol.;
22 Monate neue französische Barriques
Viel Extrakt, Blaubeertarte mit röschem Butterrührteig, mollige Marmelade, Holzrauch, etwas Vanille und Tonkabohne. Sehr konzentriert, glücklicherweise wurde die Säure mit aufkonzentriert, sodass der Wein eine enorme Zugkraft mitbringt. Immer wild, immer laut, aber immer auf den Punkt. In seiner Balance bei maximaler Intensität setzt er Maßstäbe. Mit solch meisterhafter Akzentuierung gefertigt, schmeckt auch der Holzrausch der Nullerjahre.
Spektakulär!
Viña Seña 2015
57 % Cabernet Sauvignon, 21 % Carmenère, 12 % Malbec, 7 % Petit Verdot, 3 % Cabernet Franc; 13.5 % Vol.;
88 % 22 Monate in französischen Barriques, davon 65 % Neuholz; 12% in gebrauchten Fudern
Ebenfalls ein schwerer Wein, aber aus einer klar anderen Zeit. Extrahierte, reife aber kühle Frucht, etwas schlanker und drahtiger als 2008. Das Holz ist natürlich auch hier klar evident, aber weniger toastig, weniger vanillig, dafür erdiger und kalt-rauchiger, was durch eine dezente Feuersteinaromatik noch unterstützt wird. Auf hohem Niveau fehlt dem Wein aber auch die tragende Substanz, des 2008ers.
Empfehlung
Viña Seña 2016
55 % Cabernet Sauvignon, 20 % Malbec, 12 % Petit Verdot, 8 % Carménère, 5 % Cabernet Franc; 13.5 % Vol.
88 % 22 Monate in französischen Barriques, davon 73 % Neuholz; 12% in gebrauchten Fudern
2016 war im Aconcagua Valley der kühlste Jahrgang des Jahrzehnts, was sich auch im Wein widerspiegelt. Kräutrige Würze, etwas heller Mentholtabak, Holunderbeeren, sehr fest.
Empfehlung
Viña Seña 2021
50 % Cabernet Sauvignon, 27 % Malbec, 17 % Carmenère, 6 % Petit Verdot, kein Malbec; 14 % Vol.;
90 % 22 Monate in französischen Barriques, davon 70 % Neuholz; 10% in gebrauchten Fudern
Noch blutjung, dabei aber sehr modern, mit Fuder- und Alt-Barrique-Anteil. Graphit und staudig-gemüsige Nase, Rote Beete und gefriergetrocknete Himbeeren, sehr fein, geschliffen und poliert. Dank Fenchelsaat, einem Hauch flintiger Reduktion und Limettenwürze aber dennoch sehr spannend und vielfältig. Zum Meisterwerk wird der Wein durch seine Tanninstruktur: sehr voll und extraktreich, durch und durch gesättigt, aber nie überladen, immer griffig, fest und drahtig.
Spektakulär!
Viñedo Chadwick D.O. Puente Alto
Viñedo Chadwick 2000
100 % Cabernet Sauvignon; 14 % Vol.; 18 Monate in französischen Barriques
Der Siegerwein vom 2004 präsentiert sich heute sehr voll und balsamisch, mit guter Tiefe und Agilität im Antrunk. Dunkles Obst, etwas Kompottfrüchte, aber noch keine Backpflaume. Heiße Himbeeren und eine mentholige Frische, fast wie von Mentholzigaretten. Mit Luft lässt er etwas schneller nach als andere Weine der Verkostung und zeigt schon nach fünf bis zehn Minuten im Glas ledrige Noten, die schnell Überhand gewinnen. Vermutlich ist der Peak mindestens erreicht. Am Tisch ist das aber meine Minderheitsmeinung.
Empfehlung mit Einschränkung.
Viñedo Chadwick 2014
100 % Cabernet Sauvignon; 13,5 % Vol.;
22 Monate in französischen Barriques, 75 % Neuholz
Trotz sattem, dunklen Beerenbouquet sehr saftig und aufgelockert. Viel Holz, viel Alkohol, viel Extrakt, viel Säure, viel Konzentration, viel Alles. Aber anders als vergleichbare Weine der Superlative wirkt Chadwick authentisch und schafft es, sich die Lässigkeit zu bewahren. Vor allem weil zwischen Holz und Frucht immer wieder komplexe Kräuter und Gewürznoten aufpoppen: Fenchelsaat, Tonkabohne, Johannisbeerblätter, Tabak, Zedernholz. Ein Wein der zwar alles andere als naturbelassen ist, aber auch nicht verkleidet wirkt.
Spektakulär!
Viñedo Chadwick 2021
97 % Cabernet Sauvignon, 3 % Petit Verdot; 14 % Vol.;
80 % 22 Monate in neuen französischen Barriques; 20 % in gebrauchten Fudern
Viel kalter Rauch, Graphit, Schieferstein, eher Rauch als primäres Holzaroma, keinerlei Vanille. Sehr modern und schlank, fast sogar zeitgenössisch edel-böcksrig. Trotz viel Extrakt bringt der Wein eine wunderbare Frische mit: Noten von Limette und Johannisbeeren samt ihrer kühl-adstrigenten Kerne. Ein völlig anderer Stil als der 2000er. Kaum zu bändigen, aber nicht wahllos um sich schlagend, stattdessen ein sehr bedachter Muskeleinsatz. Für mich der beste Wein der Verkostung. Und vermutlich wird er in 20 Jahren völlig anders schmecken als der 2000er heute.
Spektakulär!
Errazuriz Don Maximiano Founder’s Reserve D.O. Valle de Aconcagua
Errazuriz – Don Maximiano Founder’s Reserve 1984
100 % Cabernet Sauvignon; 12 % Vol. ; 5-7 Monate in Bottichen aus chilenischer Rauli-Scheinbuche
Der erste Jahrgang des Weinguts, wie es in seiner heutigen Form besteht. Der Wein stammt klar erkennbar aus einer weinbaulich anderen Zeit. Kein Barrique aus Eichenholz, sondern große Bottiche aus chilenischer Rauli-Scheinbuche und nur 12 Prozent Alkohol. Dementsprechend feinziseliert ist der Wein, zeigt helle Frucht, Sauerkirschen, rote Johannisbeeren. Die Dörrobst-Aromen beschränken sich auf Cranbeeries und getrocknete Roiboos-Tee-Blätter. Kein störendes Leder, keine Schokolade, kein Zeichen von Schminke. Ein faszinierend ruhiger und authentischer Wein mit prä-industriellem Anmut.
Die meisten Mitverkoster finden ihn zu dünn, rustikal, alt und unterkomplex, für mich ist er großartig!
Empfehlung
Errazuriz – Don Maximiano Founder’s Reserve 2011
75 % Cabernet Sauvignon, 10 % Carménère, 10 % Petit Verdot, 5 % Malbec; 14 % Vol.;
22 Monate in französischen Barriques, 85 % Neuholz
Sehr rauchige Nase. Gerösteter Tee, Haselnuss, Fleisch-Brühwürfel und Shiitake. Im Mund wirkt er bitter und etwas schal wie Filterkaffee mit dunkler Röstung. Ohne Frage: immernoch trinkbar, lebendig, voll, konzentriert und ein Zeugnis ordentlichen Handwerks. Für mich aber durch das überextrahierte und dann gealterte Holz der einzige unharmonische Wein der Verkostung.
Empfehlung mit Einschränkung
Errazuriz – Don Maximiano Founder’s Reserve 2013
79 % Cabernet Sauvignon, 6 % Carménère, 5 % Petit Verdot, 10 % Malbec; 14 % Vol.;
22 Monate in französischen Barriques, 65 % Neuholz
Balsamisch und satt, aber nicht so bitter und überaltert wie der 2011er. Hochprozentige Bitterschokolade, aber zu gestriegelt und poliert, um Kakaonibs zu ähneln. Espresso, dunkler Tabak, dunkle Frucht, Brombeermark, Himbeerkuchen, aber balanciert und von guter Säure und einem entscheidenden Hauch Frische aufgelockert.
Empfehlung
Errazuriz – Don Maximiano Founder’s Reserve 2021
63 % Cabernet Sauvignon, 22 % Malbec, 8 % Carménère, 7 % Petit Verdot; 13.5 % Vol.;
22 Monate in französischen Barriques, 70 % Neuholz
Auch Don Maximiano wurde klar modernisiert. Neben voller, altersbedingt noch etwas parfümierter Frucht, zeigt der Wein eine gute Frische und hat kräutrige, fast gemüsige Züge von Roter Beete. Daneben fällt eine dezente, zeitgenössische Reduktion auf, die an Limette, Feuerstein und rote Johannisbeere erinnert. Auch hier gilt: Dieser Wein wird in zehn Jahren völlig anders schmecken als der 2011er heute.
Empfehlung
Errazuriz Kai D.O. Valle de Aconcagua
Errazuriz – Kai 2013
90 % Carménère, 7 % Petit Verdot, 3 % Syrah; 14.5 % Vol.;
22 Monate in französischen Barriques, 60 % Neuholz
Auffallend viel Steinigkeit in der Nase, geschlagene Feuersteine, frisch gebrochene Schieferplatten, Bleistiftmine. Dann viel Frucht und Parfüm, fast Zitronella. Spannend ist die Rustikalität, die von den Trauben zu kommen scheint, weil die an sich sehr polierte Machart, keine derartig steinigen, fast rostigen Aromen nahelegt. Größe gibt dem Wein seine Balance aus Frucht, Rauch, Gerbstoff und Säure. Nicht einfach nur spannend und kurios, sondern auch sehr gut und vermutlich nah am perfekten Reifestadium.
Empfehlung
Errazuriz – Kai 2021
85 % Carménère, 11 % Syrah, 4 % Malbec; 14.5 % Vol.;
22 Monate in französischen Barriques, 60 % Neuholz
Auch hier dominiert Stein, kalter Rauch und Grafit die Nase. Im Mund folgt darauf ein klarer, fruchtiger Antrunk, mit Himbeere, Erdbeere und Kirsche. Sehr saftig und poliert, aber nicht marmeladig. Die rostige Rustikalität ist auch hier sehr evident. Das macht den Wein auf der einen Seite sehr spannend und außergewöhnlich, lässt aber nicht die Größe und Klasse zu, die den Cabernets innewohnt. Vermutlich ein großartiger Begleiter in offenen Weinbegleitungen für ausgewählte Gerichte. Taube mit Roter Beete und Sauce Rouennaise zum Beispiel.
Empfehlung