…und die dortigen Assyrtiko ähneln ihm auch nicht wirklich. 10 Weine und eine augenöffnende Erkenntnis.
Immer wieder wird Assyrtiko mit Riesling verglichen. Ich habe das bestimmt auch schon mal getan. Aber nimmt man die straffen Weißweine von der ägäischen Insel mal genauer unter die Lupe, lassen sich außer der hohen Säure doch recht wenige Gemeinsamkeiten benennen.
Erstens haben Assyrtiko viel mehr Alkohol als die meisten Rieslinge. Für Nykteri, die nominal höchste Qualitätsstufe trockenen Santorinis, sind 13,5 Prozent als Mindestgehalt vorgeschrieben. Ein Bereich, in dem die meisten Riesling-Winzer beginnen, sich Sorgen zu machen. 14 oder 14,5 Prozent sind keine Seltenheit für hochwertige Assyrtiko-Weine. Das macht sie nicht schlechter als Riesling, aber doch deutlich speckiger und sehniger.
Keine Äpfelsäure und kein BSA
Der größte Unterschied liegt für mich aber genau da, wo landläufig die Gemeinsamkeit verortet wird: in der Säurestruktur. In nahezu allen Rieslingen spielt Äpfelsäure eine tragende Rolle. Assyrtiko aus Santorini enthält hingegen fast keine Äpfelsäure. Und das Besondere daran: die Weine werden die Äpfelsäure ohne BSA los. Durch die Hitze und Trockenheit bauen die Reben die Äpfelsäure während der Reife fast vollständig ab. Bei Riesling liegt das Äpfelsäure-Weinsäure-Verhältnis bei etwa 50:50, ganz grob gerundet und jährlichen Schwankungen unterworfen. Auf Santorini berichten Winzer von unter einem 1 Prozent Äpfelsäure im Most und hundertmal mehr Weinsäure.
Die Assyrtiko Santorinis sind in ihrer Säure dementsprechend anders strukturiert. Riesling vibriert und tänzelnd für mich mehr. Stellt man sich seine Säure als Strahl vor, oszilliert er mit sehr feinen, präzisen, kurzwelligen Ausschlägen. Er kratzt, wühlt auf, fordert. Assyrtiko hingegen ist direkter, ohne Vibrato punktgenau auf die Zunge gelasert oder wie mit einem frisch geölten Samurai-Schwert zugestochen. Auch hier: ich finde weder das eine noch das andere besser, aber halte den Unterschied doch für evident.
Der Vorteil der Weinsäure
Damit Assyrtiko so harmonisch lasern kann, muss er in heißen Terroirs wachsen. Dort macht er sich zunutze, was Winzern in Mitteleuropa immer mehr zum Verhängnis wird – den temperaturabhängigen Äpfelsäureabbau. Anders als Weinsäure, deren absoluter Gehalt pro Beere sich während der Reifeperiode fast nicht ändert und deren relativer Gehalt nur durch Anstieg von Wasser und Zucker abnimmt, wird Äpfelsäure während der Reife verstoffwechselt – je höher die Temperatur, desto schneller. Schon 1975 fanden Alan Lakso und W. Mark Kliewer von der University of California in Davis heraus, dass ab etwa 38 Grad die Enzyme, die am Äpfelsäureabbau beteiligt sind, am effektivsten arbeiten. Anders als die Zuckerreife, die je nach Rebsorte zwischen 30 und 40 Grad irgendwann eingestellt wird, beschleunigt sich der Äpfelsäureabbau bis etwa 50 Grad fast proportional zur Temperatur.
Santorini bringt oft an die sieben Gramm Gesamtsäure pro Liter mit, die fast ausschließlich aus Weinsäure besteht. Würde die Äpfelsäure auf der heißen Insel nicht so schnell verdampfen, kämen die Weine auf in trockenen Weinen nahezu ungenießbare elf bis zwölf Gramm Gesamtsäure.
Eine Gemeinsamkeit haben Riesling und Assyrtiko dann aber doch – sie schmecken mir ohne Barrique am besten. Die nominal höchste Qualitätsstufe Nykteri, für die ein Fasslager vorgeschrieben ist, bringt deswegen oft nur die zweitbesten Weine der Insel hervor.
Die Weine
PDO Santorini
Santo – Santorini 2022
Der Basiswein der Genossenschaft. Viel Körper, warme Frucht, viel Säure, dezent salzig, mürber grüner Apfel, grüne Oliven, leicht wachsig. Keine Riesling-Textur: mehr Biss, sehr sehnig. Keine große Komplexität und Länge, aber sehr authentisch. Ein Wein, der förmlich nach Olivenöl schreit.
Empfehlung mit Einschränkung
Argyros – Assyrtiko 2022
100 Jahre alte Reben. Im ersten Moment sehr fruchtig mit Zitrusfrüchten, Limette und grünem Apfel. Mit Luft zeigt sich zusätzlich Wachsmalstift und eine spannende kräutrig-rauchige Würze aus geröstetem Bockshornklee, schwarzer Olive, Kamille und dunkel gebackenem Hefeteig. Gute fein-sandige Gerbstoffe und gute Länge.
Empfehlung
Domaine Sigalas – Santorini 2022
Viel Frucht, Mirabelle, unreifer Pfirsich und diffuse Zitrusfrüchte. Aber auch etwas Bittertöne, Tafelkreide, Anis, weiße Blüten und steinig-karge Frische, als würde man an Beton riechen.
Empfehlung
Gaia – Thalassitis 2022
Toller, saftiger Antrunk: Limette, Kumquat, ein Hauch rohe Rote Bete, sehr gute nachhaltige, aber gedeckte Fruchttöne. Eine mustergültige Santorini-Textur, geölte Oberfläche, nichts Kratziges und eine laserartige Säure. Ist im ersten Moment etwas unscheinbar, baut mit Luft aber viel Druck aus spitzem, feinem Gerbstoff auf.
Empfehlung
PDO Santorini – Single Vineyards
Argyros – Cuvée Monsignori 2020
Faszinierenderweise bringt der Wein einen ähnlichen Ton von Bockshornklee und Kamille mit wie Argyros’ Gutswein. Dann ist er aber deutlich druckvoller, zeigt helle Hefe, Salzkaramell, Austernfleisch, Meeresschnecken und Bitterorangenschale. Tolle Konzentration und eine Säure, wie in Laserstrahl.
Spektakulär!
Santo – Kontarades 2020
Bei diesem Wein muss ich ein wenig vom Grundtenor des Textes abrücken: Er riecht eins zu eins wie Riesling nach Petrol, Mirabelle und Aprikose. Neben der üppigen Frucht bringt er gute brotige Noten und Minzteetöne mit. Bereits sehr gealtert und vermutlich jetzt schon auf dem Peak, Reifepotential fraglich.
Empfehlung mit Einschränkung
Domaine Sigalas – 7 Villages Pyrgos 2022
Pfirsich, Limette, warme Frucht. Viel Kraft, Zitronenschale frisch und getrocknet. Nicht ganz so komplex wie andere Single Vineyard Assyrtiko. Lebt von Frucht und Fülle.
Empfehlung
PDO Santorini – Nykteri
Santo – Nykteri 2022
Spürbares Holz, sehr internationaler Stil, Buttertoast, Vanille, Walnusskrokant. Leider lässt das Holz die Zitrusaromatik sehr dropsig wirken. Kein schlechter Wein, aber mich lässt das Gefühl nicht los, dass er durch die Eichenmaskerade unter seinen Möglichkeiten bleibt.
Empfehlung mit Einschränkung
Gaia – Nychteri 2020
Der Wein ähnelt Thalassitis sehr stark, mit Noten von Limette, Kumquat, Steinen und guter Säure. Das Holz stört hier zwar nicht, macht aber keinen besseren Wein daraus. Am Ende ist es wohl Geschmackssache und die Weine liegen gleichauf. Mir persönlich sagt das Pendant ohne Holz mehr zu.
Empfehlung
Argyros – Cuvée Nykteri 2019
Der teuerste, aber für mich nur zweitbeste trockene Wein aus dem Haus Argyros. Vanille, sehr klare, reine Kokosnuss, sehr straff und präzise. Für mich verschwindet unter dem Holz die wunderbare Kräutrigkeit des Cuvée Monsignori. Würde ich diesen nicht kennen, wäre ich von der Cuvée Nykteri wohl begeistert. So bleibt ein Wermutstropfen.
Empfehlung