Vom Ende her gedacht
Der Ursprungsgedanke für diesen Text ist ein wenig wirr. Ich wollte nämlich unbedingt darüber schreiben, dass ich gar nicht weiß, wie dieser Champagner eigentlich schmeckt.
Aber von Anfang an: Ich hatte die Freude und das Glück, an einer größeren Blindverkostung ganz verschiedener Champagner von Haus-Basis bis Winzer-Lage teilzunehmen. Da dieser Egly-Ouriet keinem meiner Flights zugeteilt war, nahm ich die Flasche mit nach Hause, um ihm abends nochmal meine volle Aufmerksam zu schenken. So begab es sich, dass diese Verkostungsnotizen gut zwölf Stunden nach Entkorken entstehen, währenddessen die Flasche drei bis vier Stunden offen bei Zimmertemperatur herumstand und dann mit Sektverschluss im Auto nach Hause kutschiert wurde.
Aber nun zum Champagner: dass von CO₂ nicht mehr viel zu spüren ist, sollte klar sein. Fulminant ist aber die Agilität, die dieser Wein – Schaumwein kann man dazu jetzt kaum noch sagen – mitbringt, wie viel Spiel hier auch ohne selbstverständliche Zugkraft des CO₂ noch auszumachen ist. Holz ist spürbar, auf den ein Sherryton folgt, der nicht dazu führt, dass der Wein alt, behäbig oder gar müde wirken würde. Die prägnante Säure liefert den perfekten Gegenpol zum ausgeprägten Vanille-Touch. Daneben fasziniert eine ätherisch-ölige Kräutrigkeit von anetholhaltigen Dillblüten.
Dass gute Champagner mit Luft klarkommen, ist nichts Neues1. Wie gut Egly-Ouriets V.P. aber selbst nach dem letzten geplatzten Blubberbläschen dasteht, ist dennoch eine andere Liga. Ich sage das so direkt, weil andere Flaschen – mitunter großartige, frisch verkostet noch präzisere Champagner –, die ich der gleichen Tortur unterzog, am Abend dann doch irgendwann die Biege machten.
Ich muss bei solchen Extrem-Marathonläufern, die auch still funktionieren, immer an den wunderschönen – und schonmal hier zitierten – Satz von Robert Parkers Champagner-Verkoster William Kelley denken: “Champagne is just wine”. And this wine is outstanding. Ein wenig bin ich sogar froh, den Champanger frisch nicht durchverkostet zu haben. Ich hätte zwar gewusst, wie er wirklich schmeckt, daraus aber weniger Faszination ableiten können. Oder um es – einem Egly-Ouriet Grand Cru mit 89 Monaten Hefelager angemessen pathetisch – mit dem russischen Filmemacher Andrei Tarkowski zu sagen: Ich hätte geschaut, aber nicht gesehen.

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- Wenn ihr Punkte wollt, müsst ihr sie selbst vergeben
- die Schaumweinkaraffe hat ja auch ihre Berechtigung[↩]