Wein

Wein ist nicht rassig

…und er hat auch keine rassige Säure. Vielmehr transportiert der Begriff Versatzstücke menschenverachtender Ideologien in die Gegenwart. Eine Kritik der Weinsprache

Jedes Milieu hat seine Sprache und das Weinmilieu hat seine Weinsprache. Dass die Bedeutung eines Wortes stets im Wandel begriffen ist, liegt auf der Hand und auch ohne Blick auf die Zeitachse ist die Semantik von Begrifflichkeiten keinesfalls eindeutig. Und so steckt auch die Weinsprache voller Ambiguität. Wer einen Wein als mineralisch bezeichnet, will womöglich ausdrücken, dass er einen salzigen Geschmack hat. Andere verwenden den Begriff, um Weine zu beschreiben, die viel Benzylthiol enthalten, die Aromaverbindung, die für die Feuersteinnote verantwortlich ist, die man typischerweise in Sauvignon Blanc von der Loire findet. Wieder andere empfinden spitze Säure als mineralisch.

Dem Begriff der Mineralität kann man vorwerfen, dass er die Weinsprache verwässert. Und in der Tat ist ein Begriff, der solch flexible Anwendung findet, irgendwann aus rein praktikabler Sicht verbrannt. Man kann den Mineralitätsbegriff auch als Beispiel für eine enorm simplifizierende aber passable Aussage heranziehen: Die Bedeutung eines Begriffs ist das, was man meint. Völlig anders verhält sich das mit dem wohl fragwürdigsten Begriff der deutschen Weinsprache: rassig.

Was soll das sein, ein rassiger Wein?

Die Vokabel rassig taucht in der Weinsprache immer mal wieder auf und wurde dementsprechend auch schon zig mal definiert:

“Als rassig bezeichnet man einen Wein, der sehr charaktervoll, herzhaft und kernig ist. Rassiger Wein besitzt meist eine gute Struktur und markante Säure und ist zugleich erfrischend und belebend”
Vicampo Weinlexikon

“Beschreibung für den positiven Gesamteindruck im Rahmen einer Weinansprache. Der Wein zeichnet sich durch gute Struktur mit hohem Gesamtextrakt und markanter Säure aus.”
Wein.plus Glossar

“Die Formulierung der Wein hat Rasse oder der Wein ist rassig hebt in der Regel ab auf seinen kräftigen Säuregehalt und die belebende, temperamentvolle Frische, die damit idealerweise einhergeht.”
Weinlexikon auf der Website der Remstalkellerei

Nun leitet sich der Begriff rassig vom Begriff Rasse ab, der in seiner Anwendung auf den Menschen nicht erst seit der aktuell brisanten Debatte um die Streichung des Rassebegriffs aus dem Grundgesetz, zur Disposition steht. Geht man weg von der Weinsprache, meint der Begriff rassig laut Duden so viel wie feurig, wild oder temperamentvoll.

Jenaer Erklärung: Rassen sind ein Konstrukt des menschlichen Geistes

Um darzulegen, weshalb Weinsäure nichts mit Rassigkeit zu tun haben kann, muss man sich eines gewiss machen: Der Begriff rassig kommt überhaupt nur dann in die Nähe von Schlüssigkeit, wenn man ihm die Vorstellung zugrunde legt, es gebe menschliche Rassen. Das jedoch ist sowohl durch die Anthropologie als auch durch Zoologie hinreichend widerlegt worden. Den Stand der Wissenschaft bringt die Jenaer Erklärung auf den Punkt:

“Auch heute noch wird der Begriff Rasse im Zusammenhang mit menschlichen Gruppen vielfach verwendet. Es gibt hierfür aber keine biologische Begründung und tatsächlich hat es diese auch nie gegeben. Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung. […] Festzulegen, welche taxonomische Unterschiedlichkeit bzw. genetische Differenzierung ausreichend wäre, um Rassen bzw. Unterarten zu unterscheiden, ist aber rein willkürlich und macht damit auch das Konzept von Rassen/Unterarten in der Biologie zu einem reinen Konstrukt des menschlichen Geistes.”
Institut für Zoologie und Evolutionsforschung der Friedrich-Schiller-Universität Jena

Die volle Perfidie von Begrifflichkeiten wie rassiger Säure wird aber erst klar, wenn man sie weiter denkt. Denn selbst wenn man sich gedanklich experimentell darauf einlässt, es gebe sowas wie genetisch abgetrennte menschliche Rassen, muss davon ausgehen, dass sich Rassenzugehörigkeit direkt auf die Gemüter von Individuen auswirke, um mit dieser Vokabel Wesenszüge wie Temperament, Markanz oder Charakter zu beschreiben.

Nun wird klar, weswegen man die Unsinnigkeit der Begriffe rassig und Mineralität nicht gleichsetzen kann. Minerale existieren. Ihnen aromatische Attribute mit fragwürdiger Kausalität zuzuweisen, ist zwar nicht zielführend, der Irrtum beruht aber auf sich selbst und ist somit harmlos. Die Vokabel rassig hingegen bleibt eine Worthülse bis man sie mit externen Bedeutungen füllt, deren Sinngehalt ohne pseudowissenschaftliche menschenverachtende Diskurse niemals zustande käme. Dass genau diese Füllung mit Bedeutung geschieht, zeigt die recht uniforme Verwendung des Begriffs in der Weinsprache. Rassig ist in der Weinsprache mehr als eine Worthülse.

“Wer will den sagen, dass sich der Begriff nicht von Tierrassen ableitet”, könnte man einwerfen. Erklärungsmuster aus der Tierwelt dürften argumentativ allerdings schwerfallen, betrachtet man die positive Konnotation des Begriffs und stellt dem die Nüchternheit gegenüber mit der sowohl ein American Bulldog als auch eine Milchkuh der Rasse Holstein klassifiziert werden. Letzterer würde wohl niemand feuriges Temperament als indigenen Wesenszug zuschreiben.

Man könnte nun einwenden, dass rassig keinesfalls abwertend gemeint sei. Sowohl einer rassigen Südländerin als auch einem rassigen Wein – beides Beispiele des Dudens – tritt das handelnde Subjekt in der Regel mit positiven Emotionen gegenüber. Dass das jedoch ein Fehlschluss und jede Verwendung des Rassenbegriffs, auch wenn oberflächlich mit einer Wertschätzung verbunden, abzulehnen ist, verdeutlicht ein Blick auf Diskurse rund um den Exotismus, ein Begriff, der darlegt, weswegen auch in der Romantisierung des Fremden, dessen Herabwürdigung schlummert.

Exkurs: Exotismus

Exotismus bezeichnet in der Kulturwissenschaft ein Muster der Fremdwahrnehmung, welches dem Fremden als solchem aufgrund dessen Fremdheit mit Faszination gegenübertritt. Und wer fremd und temperamentvoll synonym verwendet, tut genau das. Das wohl bekannteste den Exotismus behandelnde Werk ist das des Literaturwissenschaftlers Edward Said, der 1978 mit seinem Buch Orientalism die Darstellung und Wahrnehmung “des Orients” in der westlichen Welt als autoritär kritisierte. Die gemeinsame und simplifizierte These von Exotismus und Orientalismus: wer in der Fremde (im “Orient”) nur Safran, Seide und Kamasutra sieht, verklärt sie. Durch Reduzierung auf das Folkloristische wird das Fremde romantisiert und ihm so Komplexität seiner Lebensrealitäten abgesprochen, die denen der eigenen Kultur zugesprochen wird. In einem Wort: Herabwürdigung.

Natürlich bezeichnet rassig in der Weinsprache nicht das Fremde im Weine. Viel mehr führt der Exkurs zum Exotismus das Scheinargument ad absurdum, rassig sei als Vokabel redlich zu verwenden, wenn damit Wertschätzung gegenüber dem Fremden ausgedrückt werden soll.

Rassige Säure – ein Trojanisches Pferd der Ideologie

Man könnte auch einwenden, dass das doch alles nicht so ernst zu nehmen sei, es doch nur um Wein gehe, doch jeder Weintrinker wisse, was mit dem Begriff gemeint sei und der Begriff die Weinsprache bereichere. Nun, wie ernst man solche Begrifflichkeiten nehmen sollte, ist jedem selbst überlassen. Aber auch hier sollte man weiterdenken. Obwohl ich ausdrücklich niemandem, der den Begriff unbedacht benutzt, menschenverachtende Tendenzen unterstellen möchte, muss klar sein, dass durch die Verwendung des Begriffs Versatzstücke rassistischer Ideologie transportiert werden. Und das kann man gar nicht ernst genug nehmen. So wird auch deutlich, wieso es eine äußerst laue Ausrede ist, dass es hier nur um Wein gehe. Erstens geht es hier nicht nur um Wein, sondern um Sprache, die Wein betrifft und zweitens macht es alles noch gefährlicher, dass es nur um Wein geht. Denn nichts sind der Ideologie ein besseres Trojanisches Pferd als Niedlichkeit und Unbrisanz. Und was ist schon niedlicher und weniger brisant als Wein?

Dass jeder Weintrinker wisse, was gemeint ist, kann zwar als wahr angesehen werden, ist aber eher ein Argument gegen die Verwendung der Vokabel als eines dafür. Um das zu verstehen, muss man sich weniger die Frage stellen, ob die Vokabel verstanden wird, als weswegen sie verstanden wird. Antworten auf diese Frage liefern Ideen des Strukturalismus bzw. Poststrukturalismus. Beides bezeichnet eine lose Sammlung von Theorien und Theoremen, die seit Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden sind und das Verhältnis zwischen Menschen, ihrer Sprache und deren Bedeutung neu denken. Nicht etwa, so die (post)strukturalistische Denkweise, folge die Sprache dem Bewusstsein, vielmehr sei Sprache der Ursprung des Bewusstseins. Kurz: Sprache schafft Bewusstsein.

Exkurs: (Post)Strukturalismus

Die (Post)strukturalistInnen haben gute Gründe das anzunehmen. Eine wichtige Grundlage dazu liefert die Arbeit des Schweizer Linguisten Ferdinand de Saussure: Gäbe es bereits klare Bedeutungen außerhalb der Sprache, existierten in allen Sprachen exakt äquivalente Wörter, so Saussure. Was offenkundig nicht der Fall ist. Ein kulinarisches Beispiel dafür findet sich in den verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten des Wortes knusprig in Mandarin. Während cui eine Knusprigkeit bezeichnet, wie wir sie von Chips kennen, steht su für knusprige Gebäckstücke, etwa Croissants. Dieser haptische Unterschied wird für Menschen mit deutscher Muttersprache, die diese sprachlichen Unterscheidungen nicht kennen, kaum spürbar sein, während er für Chinesen auf der Hand liegt. Ähnlich wird Weintrinkenden erst dann die Aromaverbindung Isoamylacetat in den Gaumen stechen, wenn ihnen der in der Weinsprache dafür gängige Begriff Eisbonbon geläufig ist. Erst aus der Sprache erwächst das gustatorische Bewusstsein.

Der Historiker und Philosoph Michel Foucault stellte dementsprechend die provokante These auf, es hätte bis ins 19. Jahrhundert keine Homosexualität gegeben. Zwar sei schon in der Antike Sexualität zwischen Männern praktiziert worden, die alten Griechen hätten sich aber nicht als durch ihre sexuellen Praktiken definierte Subjekte verstanden. Erst durch die Entstehung der Homosexualität als Begrifflichkeit, sei das soziale Konstrukt der Homosexuellen entstanden. Und erst das hätte deren Bestempelung als abnormal oder pervers ermöglicht. Analogien zu sogenannten Weinfehlern liegen auf der Hand: Wer noch nie etwas vom Hefepilz Brettanomyces Bruxellensis gehört hat, wird auch weniger entschieden gegen dessen herbes Aromenspektrum argumentieren.

Dass wir also verstehen, was mit Rassigkeit gemeint ist, ist darauf zurückzuführen, dass das rein linguistische Konstrukt der Rasse, unser Bewusstsein dahin biegt, dass wir die Vokabel selbst – als Lesende, als Zuhörende – mit Bedeutung füllen. Mit ihrer Verwendung konservieren wir folglich nicht nur die Vokabel selbst, sondern daraus resultierend auch das falsche Bewusstsein, es gäbe menschliche Rassen.

Wenn ein Wein viel Säure hat, dann sagt das doch einfach

Um dagegen zu argumentieren, dass das Wort die Weinsprache bereichere, muss man sich nur die oben aufgezeigten die Definitionen nochmal anschauen. Rassig fungiert hier stets als Vokabel, die unnötig verkompliziert, was man auch viel klarer hätte ausdrücken können. Wenn ein Wein temperamentvoll ist, dann sagt das doch einfach! Wenn ein Wein viel Säure hat, dann sagt das doch einfach! Wenn die Charakteristik der Säurestruktur aromatisch auf einen hohen Anteil an Äpfelsäure schließen lässt, dann sagt doch kratzig, ruppig, bissig oder einfach Äpfelsäure! Wofür benötigt man denn eurozentristische Weltbilder des 19. Jahrhunderts um sich über Wein zu unterhalten?

Die Jenaer Erklärung schließt mit dem Satz: “Der Nichtgebrauch des Begriffes Rasse sollte heute und zukünftig zur wissenschaftlichen Redlichkeit gehören.” Daran anknüpfend sollte die Weinbranche sagen: Der Nichtgebrauch des Begriffes rassig sollte heute und zukünftig zur vinophilen Redlichkeit gehören.

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