Sandra Tavares und Jorge Serôdio Borges haben mit „Wine & Soul“ den Weinbau in Nordportugal perfektioniert. Ihre Weine hauchen dem Douro Leben ein.
Man kann den Pintas an keiner Stelle ganz überblicken. Steht man oben auf der Kuppe des steilen Weinbergs, verschwinden die Rebzeilen mit ihren knorzeligen Stöcken rasch im Tal. Wie ein buckliger Senior liegt der Berg da, dessen Plateau einen Rundumblick über die karge, rostbraune Landschaft des Douro-Tals gewährt. Sandra Tavares da Silva geht durch den verwinkelten Pintas, ihre Paradelage an einem Nebenfluss des Douro, und dreht ein paar Blätter um, betrachtet die mal flauschige, mal aalglatte Triebspitze und das hier hagere, dort viel korpulentere Holz. „Hier wachsen mindestens 42 Rebsorten, aber die Hälfte der drei Hektar haben wir noch gar nicht wirklich analysiert“, sagt Tavares. Die Lage Pintas ist einer der ältesten sogenannten Vinhas Velhas am Douro – ein alter, wirklich sehr alter in den 1920ern im gemischten Satz gepflanzter Weinberg.
Der Wein, der diesem alten Herrn entspringt, ist ebenso extrem und rätselhaft wie der Weinberg selbst: kräftig und tanninreich, aber nicht übermäßig extrahiert, von feiner Säure durchzogen und von mürbem Blütenstaub parfümiert, der im ersten Moment kaum zur dunkelbeerigen Farbe passen will. Wie kommt es dazu, dass der Weinberg hier heute noch ein Leben führt, als hätte er die Moderne schlicht nicht mitbekommen? Und wieso bringt er Weine hervor, die doch so sehr den Puls der Zeit fühlen?
Um das zu verstehen, muss man sich gewahr werden, wo wir uns befinden. Der portugiesische Teil des Douro, der 500 Kilometer weiter östlich in Spanien als Duero entspringt und 100 Kilometer weiter westlich bei Porto in den Atlantik mündet, ist die Ader, durch dessen Venen seit Jahrhunderten der weltbekannten Portwein fließt. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn seit jeher liefern die Winzer des Douro-Tals das Lesegut, das in der Hafenstadt als Likörwein vertrieben wird.
Das hat nicht zuletzt klimatische Gründe. Während Porto zu feucht und zu maritim ist, um sinnhaft Weinbau zu betreiben, tobt am Douro das kontinentale Klima. Novo meses de inverno, tres meses de inferno, neun Monate Winter, drei Monate Fegefeuer, besagt ein regionales Sprichwort. Das qualifiziert die Schiefer- und Granithänge des Douro zwar als erstklassiges Weinbaugebiet mit hoher Tag-Nacht-Amplitude, machte es vor der Zeit mechanischer Kühlung aber fast unmöglich, Wein unversehrt durch die glühend heißen Sommermonate zu bringen. Deswegen verkauften die Winzer ihre Weine direkt nach der Gärung an die Händler aus Porto.
Vom Traubenlieferant zum Weinbaugebiet
Heute hat sich das Blatt gewendet. Längst ermöglicht es moderne Technik, Wein am Douro zu behandeln wie in jeder anderen Region der Welt. Eine Winzerbewegung ist entstanden, die seit den 1990ern aus den alten Portweinbergen gewaltige Rotweine und vereinzelt auch Weißweine hervorbringt.
Als Sandra Tavares und ihr Mann Jorge Serôdio um die Jahrtausendwende ihr Weingut in Pinhão gründeten, war vieles anders als heute. „Ich erinnere mich noch: als ich das erste Mal am Douro war, fühlte ich mich um 30 Jahre zurückgeworfen. Die Gebäude, die Technik, die Fahrzeuge und Maschinen, das kannte ich aus dem Rest Portugals gar nicht“, erinnert sich Sandra heute an das Jahr 1999. Nach Landwirtschaftsstudium in Lissabon und Önologiestudium in der Toskana kam die junge Winzerin für ein Praktikum an den Douro, verliebte sich in die Gegend – und in Jorge, der einer Portweinfamilie entstammt–, blieb und gründete 2001 mit ihm gemeinsam Wine & Soul.
Das Pure der Region hatte durchaus seinen Reiz. „Die Wine Maker der Portweinhäuser kamen nur für den Herbst hierher und verschwanden danach wieder nach Porto in die Stadt. Wir entschieden uns bewusst hierherzuziehen. Wir wollten Douro leben!“, so Tavares heute. Die ganzjährige Auseinandersetzung mit der Region und ihren Tücken ermöglichte es dem jungen Winzerpaar, das Terroir ihrer Weinberge zu erkunden. „Wir hatten damals noch keine Kinder, waren jung und hatten viel Zeit für uns und die Weinberge“. Heute führen zwei rote Lagenweine das Sortiment an, der knochentrockene kraftvolle Pintas und der ebenfalls kraftvolle, aber im direkten Vergleich anschmiegsamere, beerigere, zugänglichere Quinta da Manoella.
Weiter Horizont und eine neue Art Wein zu machen.
Sandra Tavares und Jorge Serôdio darf man dabei nicht als Pioniere auffassen, eher als frühe Mitmischer. Ein Pionier, Vorreiter und Mentor des Douro abseits klassischer Portweine ist aber zweifelsohne Dirk Niepoort, Erbe und Inhaber des gleichnamigen alteingesessenen Portweinhauses. Sein mit dem Jahrgang 1999 erstmals vermarkteter Batuta ist zwar nicht der erste Douro-Wein, aber einer der ersten, die gezeigt haben, was im Terroir des Tals steckt. „Dirk hat unseren Horizont wahnsinnig erweitert durch seine Weine, sein Wissen, sein Netzwerk und auch durch seine Großzügigkeit“, schwärmt Sandra über ihren Freund und Kollegen. „Ich erinnere mich noch genau an einen 1996er Château Latour, den wir tranken, als Dirk uns auf eine Frankreichreise nach Bordeaux und ins Burgund mitgenommen hatte. Jorge und ich wussten sofort, dass wir sowas auch machen wollten“, so Tavares.
Zur x-ten zweitklassigen Bordeaux-Kopie, die 2001 nun wirklich niemand mehr brauchte, ist Wine & Soul und das ganze Douro-Tal aber zum Glück nie geworden. Zwar verwenden fast alle erstklassigen Douro-Winzer neues französisches Holz, dennoch atmen die Weine den Charakter des Douros förmlich. Sie sind konzentriert, kühl-rauchig und alle von der bezaubernd-geerdeten, bitter-süßen Floralität der Touriga Nacional geprägt.
Kein Terroir für Neulinge
Zu Beginn der Winzerbewegung der 90er begünstigte das herrische Klima des Douros ein zweites Mal die Entstehung einer ganz eigenen Stilistik – und bewahrte den lokalen Weinbau vor der Beliebigkeit. Portugal im Allgemeinen und das Douro-Tal im Speziellen ist von kargen, wenig reichhaltigen Böden geprägt. Auf den alten Portweinbergen sind Humusgehalte um einen Prozent keine Seltenheit. In den meisten deutschen Weinbaugebieten liegt er zwischen zwei und vier Prozent. Humus ist nicht nur das biochemische Elixier der Bodenfruchtbarkeit, sondern auch ein effizienter Wasserspeicher. Portugalreisenden begegnet der Nährstoff- und Wassermangel im Boden auch in Form der Landesküche. Getrockneter Kabeljau, Fleisch, Käse, Wurst und Frittiertes wird zu jedem Mahl gereicht, Gemüse ist rar gesät. Dass sich Wein und Olivenöl als portugiesisches Nationalgut etabliert haben, liegt auch daran, dass Reben und Olivenbäume zu den resilientesten Kulturpflanzen überhaupt gehören.
Was bedeutet die Kargheit im Boden für den Weinbau? Rebsorten aus dem Ausland zu importieren, ist weitaus schwieriger, weswegen Portugal heute als Eldorado autochthoner Rebsorten gilt. Mindestens 42 wurzeln an den Rebhängen von Wine & Soul, in ganz Portugal sind es mehr als 250. Die wichtigste Rebsorte am Douro ist Touriga Nacional, die dunkle Beeren, harte Schalen und viel Extrakt aufweist. Wie auch Touriga Franca oder Touriga Francisca ist Touriga Nacional ein echter Überlebenskünstler. Während Merlot oder Cabernet Sauvignon hier schlicht verdursten würden, sind die alten Douro-Sorten seit Jahrhunderten an die schroffen Böden angepasst.
Vinhas Velhas: viel mehr als „Alte Reben“
Gehütet wird der reiche Schatz der Sortenvielfalt vom Instituto dos Vinhos do Douro e do Porto, kurz Portwein-Institut. Auch Sandra Tavares wird bei der Identifikation der Reben ihrer Vinhas Velhas unterstützt – ganz altmodisch, mittels Augenmaß und jeder Menge Erfahrung. „DNA-Analysen sind teuer und nicht alle Sorten sind katalogisiert. Meistens kommen zwei ältere Herren im Sommer, schauen sich mit mir jede Rebe an, es wird viel diskutiert und am Ende wissen wir, welche Sorte sich hinter welchem Stock verbirgt“, beschreibt die Winzerin die Arbeit der anreisenden Sortenspezialisten. Flying Identifying statt Flying Winemaking.
Nicht immer ging man so sorgsam mit dem eigenen Erbe um. Mit der aufkommenden Modernisierung nach der portugiesischen „Nelkenrevolution“ 1974 wurden zahlreiche alte Weinberge gerodet und neu gepflanzt. Heute zählen sogenannte Vinhas Velhas wie Pintas zu den gefragtesten Grundstücken Portugals. Was wörtlich übersetzt nur die leidigen „Alte Reben“ bezeichnet, lädt sich hier am Douro mit echter Bedeutung auf. Erst in den 70ern begannen die Weinbauern reinsortige Parzellen anzulegen. Alles, was älter ist, besteht aus zig, teils über 50 verschiedenen Rebsorten, die gemeinsam gepflanzt, gelesen und vergoren werden. Wer Vinhas Velhas auf dem Etikett liest, darf sich auf solche gemischt gepflanzte Weinberge und Geschichte zum Trinken freuen.
Hektarpreise: das Paradoxon des Douro-Tals
Wie groß das Interesse am flüssigen Storytelling ist, verdeutlicht der rapide Preisanstieg der vergangenen Jahre. Anders als an vergleichbaren Orten – der Terrassenmosel zum Beispiel – sind die steilen, kaum traktorgängigen und ertragsarmen Douro-Lagen die teuersten und gefragtesten in ganz Portugal. In jüngster Zeit werden immer mehr Investoren in der Region gesichtet, die eine Quinta am Douro als Prestigeobjekt sehen und bereit sind, hohe Preise zu zahlen. Hinzu kommt, dass viele Traubenproduzenten keine Notwendigkeit sehen, zu verkaufen, da die Portweinhäuser über Jahre hinweg eine sichere Einnahmequelle darstellen. Als Sandra und Jorge hier vor zwanzig Jahren anfingen, konnten sie für 30.000 Euro einen Hektar Weinberge erwerben. Heute ist unter 100.000 Euro kaum noch etwas zu bekommen. Zwar sind das noch Preise deutlich unterhalb der französischen Spitzenlagen und selbst in der Pfalz oder im Rheingau kann man deutlich teurer einkaufen gehen. Doch der Pfeil zeigt steil nach oben.
Erfolg: zurecht
Den Pintas, den alten Herrn, schert das alles nicht. Er war ja auch schon da, als sich vor 90 Jahren die Frage nach der Traktorgängigkeit überhaupt nicht stellte. Aber auch, weil er es sich leisten kann, sich nicht scheren zu müssen. Knapp 90 Euro kostet eine Flasche Pintas mittlerweile. Der Portwein, den Wine & Soul ebenfalls in kleinen Mengen aus der Lage herausholt 80 Euro. Der Pintas „Character“, so etwas wie der Zweitwein, ist mit knapp 30 Euro auch nicht gerade ein Schnäppchen. Mit ihren Weinen sind Sandra Tavares und Jorge Serôdio Borges oben angekommen. Beide zählen mittlerweile zur Spitze Portugals, mit Wine & Soul, aber auch mit ihren anderen Projekten, Quinta do Passadouro am Douro und Quinta da Chocapalha bei Lissabon. Kaum ein Weingut Portugals kommt bei Kritikern derzeit besser weg.
Hat man den Pintas im Glas, kann man die ganzen Lorbeeren nachvollziehen. Sein sattes, von ledriger Würze und weißen Sultaninen abgepuffertes Beerenbouquet generiert Komplexität. Dazu der ganz eigene Ton von Blumen, Mandarine, Erde und kaltem Rauch, gefolgt von einem unendlichen Nachhall. Einen Schluck auf die vergangenen 90 Jahre. Und einen auf die nächsten.
Ausgewählte Weine
Pintas 2020
Ein volles Beerenbouquet, satte ledrige Würze, reintönige weiße Sultaninen, kalter Rauch, Blütenstaub, Erde, Mandarinenschale und dunkle Früchte: ein kraftvolles Aromenfeuerwerk. Ohne Frage einer der besten Rotweine Portugals.
ca. 90 € bei Lobenberg
Manoella Vinhas Velhas 2019
Auch der Schwestern-Wein von Pintas gibt sich kraftvoll, wirkt aber im direkten Vergleich ein wenig transparenter und zugänglicher, mit einem Hauch mehr Frische. Welcher der größere Wein ist, dürfte eine Frage von Vorlieben sein.
ca. 75 € bei Lobenberg
Pintas Porto Vintage 2020
Mit seinen frischen Beeren, dem spürbaren Tannin und der verhältnismäßig dezenten Süße ist der aufgesprittete Pintas eine sehr weinige, terroirgeprägte Portweininterpretation.
ca. 80 € bei Lobenberg
Guru 2021
Der Weißwein aus den autochthonen Sorten Gouveio, Rabigato, Viosinho und Códega de Larinho punktet mit reintönigen weißen Früchten, feiner Säure und einer kecken Feuersteinnnote. Ein wunderbar schlanker, aber ausdrucksstarker Weißwein vom Douro.
ca. 29 € bei Lobenberg
Dirk Niepoort – Batuta 2016
Ein Wein, ohne den das Douro-Tal heute vermutlich anders aussehen würde. Viel Kraft, viel Gerbstoff, dunkle Früchte, aber auch Feinheiten, Kräuter und gelbe Blüten. Ein Neo-Klassiker vom Botschafter des portugiesischen Weins.
59 € bei Lobenberg