Schriesheim an der Badischen Bergstraße hat viel verschlafen. Winzer wie Pascal Treichler könnten für ein Erweckungserlebnis sorgen.
Ich muss gestehen: Ganz unvoreingenommen bin ich bei dem Thema nicht. An der Bergstraße aufgewachsen, liegt mir der Weinbau meiner Heimat irgendwie am Herzen. Gerade, weil er in meiner Kindheit nie eine große Rolle gespielt hat. Einige Jahre bewirtschafteten meine Eltern einen Hobbywingert in Schriesheim, aber eine kollektive winzerschaftliche Identität habe ich, auch wenn in meinem Heimatort Weinheim und seinen Nachbarorten Reben wurzeln, erst später aus Erzählungen von Pfälzern, Rheingauern oder Kaiserstühlern in Geisenheim kennengelernt. Lese- und Herbststimmung, die ganze Ortschaften über Berufe und Generationen hinweg ergreift, herrschte nie und ich kannte auch keine Winzerkinder. Als ich begann, mich für Wein zu interessieren, vergaß ich fast, in einem Weinanbaugebiet zu leben. Wein war das, was es anderswo gab, in der Pfalz auf der anderen Seite des Rheingrabens oder am Kaiserstuhl; aber nicht vor der Haustür, auch wenn ich fast jeden Tag durch irgendeinen Weinberg radelte. Weinbaulich blieb die Bergstraße blass. Abgesehen von Thomas Seeger am anderen Ecke der Bergstraße, die sich nicht mehr heimatlich anfühlte, gab es damals keinen einzigen interessanten Winzer an der Badischen Bergstraße. Die Wingerte waren – und sind – fest in Hand der Obstbauern und Genossenschaftswinzer, die ihre Trauben bei Schriesheimer Winzergenossenschaft ablieferten, welche keinen eigenen Wein produzierte, sondern die Moste ihrerseits nach Breisach in den Badischen Winzerkeller fuhr.
Aber genug von mir. Mittlerweile gibt es Schriesheim erfreulicherweise mindestens zwei Winzer, die sehr gute Arbeit machen. Neben Max Jäck, der dem Weingut der Familie mit dezent natural angehauchtem Stil schon seit einigen Jahren neues Leben einhaucht, stellt vor allem der junge Winzer Pascal Treichler seit 2021 Schriesheim auf den Kopf. Mit schwefelfreien Weinen, Permakultur und Obstbäumen mitten im Weinberg, eigenen Essigen, Cidre und Apfelwein.
Pascal Treichler: auf der Suche nach Funk und Ursprünglichkeit
Seinen Weinstil rechnet er selbst klar dem Naturwein zu, filtriert nicht und benutzt keinerlei Schönungsmittel, nicht mal Schwefel. Im Keller probiere ich einen 2022er Spätburgunder aus dem Fass, der vier Wochen auf der Maische vergoren wurde und einer wilden aber saftigen Art entspricht, mit Brombeeren, Brombeerblättertee, dunkler Frucht und charmanten Bittertönen. Für mich ist der Wein von einer tollen Balance gekennzeichnet, für Pascal selbst ist er etwas zu clean. Beim Jahrgang 2023 hat er die ersten Tage deswegen auf Pigeage verzichtet, um bewusst eine Ansammlung von Essigsäurebakterien an der nicht von Gär-CO2 gereinigten Oberfläche zu provozieren. Für ihn sollen die Weine wild und funky sein. Ich habe den neuen Jahrgang bislang nicht probiert, aber vermute, mit den verhältnismäßig fokussierten und reintönigen 2022ern mehr anfangen zu können. Aber Pascal Treichler macht ja nicht Wein für mich, und ich begrüße es immer, wenn Winzer ihren eigenen Stil entwickeln.
Ausgezeichnet ist auch der Rote Rebell, ein früh gelesener Pinot Noir im Stil eines Vin de Soif, den man am besten gekühlt in großen Schlücken trinkt, so entfaltet sich das Aroma von frischen, säurehaltigen Brombeeren und Holunderbeeren am besten. Sehr eigenständig ist auch der Anarchie-Weißwein, der aus einem gemischten Satz mit Weißburgunder, Grauburgunder und verschiedenen Muskatsorten stammt und wunderbar mit Bittertönen, Wermutkraut, Rooibos-Tee, Zitronenschale und Kalamataolivenlake spielt. Ohne Frage: Naturwein muss man mögen, um die Weine von Pascal Treichler zu verstehen. Aber für mich wirken sie nie zu gewollt oder modisch, auch wenn er im Hinblick auf Zusatzstofffreiheit und Permakultur keinerlei Kompromisse eingeht.
Einen Teil seiner Weinberge hat Pascal zu Gobelets am Einzelpfahl umerzogen: “Die Idee dahinter ist, zurück zu den Ursprüngen zu gehen. So wurde es früher ja auch gemacht. Für die Handarbeit nervt der Drahtrahmen nur und Gobelets kommen besser mit Trockenheit klar und die Stöcke sind langlebiger”.
“Ein bisschen schief werde ich schon mal angeschaut, wenn ich mit der Spitzhacke über der Schulter durch den Ort laufe”, sagt Pascal, der aus der Eiffel stammt und im Hauptberuf als Winzergeselle beim oben genannten Max Jäck angestellt ist. Seine eigenen 1,5 Hektar bewirtschaftet er im Nebenerwerb ohne Maschinen. Einmal, weil das seiner Philosophie entspricht, aber auch, weil die klein parzellierten Lagen ganz oben am Waldrand ohnehin meist nicht traktorgängig sind.
Cru de Haustrunk
Die Dominanz der Winzergenossenschaft in Schriesheim hat in den Waldrandlagen am Fuß des Odenwalds eine seltsame Struktur geschaffen. Für die nach Mostgewicht ausbezahlten Genossenschaftswinzer ergibt die Handarbeit, die hier in den alten Parzellen notwendig ist, keinen Sinn. Im eigenen Gut kelternde Winzer gibt es in Schriesheim aber auch fast nicht mehr. Um Pascal Treichlers Weinberge herum befinden sich so fast ausnahmslos Hobbyweingärten und Haustrunkwinzer. Als ich mit Pascal durch den oberen alten Teil des Schriesheimer Kuhbergs, der nahtlos in den Dossenheimer Ölberg übergeht, laufe, sehe ich auch zahlreiche langsam verwaldende Weinberge. “Ich könnte sofort fünf Hektar übernehmen”, ist er sich sicher. Großteils erstklassige Lagen mit vielen alten Spätburgunderstöcken.
Die Genossenschaftskrise als Innovationstreiber
Recht früh, schon 1948, setze Schriesheim auf Pinot Noir, der heute fast die Hälfte der Weinberge ausmacht. Die alten Reben im Schlossberg, der traditionellen steilen Paradelage Schriesheims unterhalb der Strahlenburg, fielen 2006 einer unerbittlichen Flurbereinigung zum Opfer. Für Winzer, wie Pascal Treichler, der innerhalb seiner Nische Spitzenwein keltern will, ist dieser Teil Schriesheims uninteressant geworden – wie auch am Kaiserstuhl die geschaffenen Großterassen uninteressant für die namhaften Winzer sind.
Sosehr die Flurbereinigungen und die kriselnden Winzergenossenschaften der Sicherung traditioneller Weinbauflächen schaden, so klar ersichtlich ist ihr positiver Nebeneffekt. In fast allen Regionen mit von Genossenschaften geprägter Sozialstruktur kommt man im Handumdrehen an Weinberge. Und meistens sind es ausgerechnet die der Qualität zuträglichen, aber innerhalb der genossenschaftlichen Preis- und Kostenstrukturen unwirtschaftlichen Weinberge, die besonders leicht und günstig zu haben sind. Für junge Winzer ohne Erbe, die den Mut mitbringen, sich Spitzenlagen selbst zu erschließen, statt das bestehende Renommee von Rotem Hang, Berg Schlossberg oder Pechstein mitnehmen zu wollen, waren die Zeiten, ein Weingut zu gründen, wohl lange nicht so günstig. Die Geschichte von Pascal Treichler und Schriesheim lässt sich also stellvertretend für unzählige junge Winzer in bröckelnden Weinbaugemeinden auffassen. Dass deren Weine oft so vielversprechend sind, könnte für ein Erweckungsmoment sorgen.