Champagner & Schorle-Gastautor Karl Dobrinski über Nischenweine, Kindersegen und darüber was eine 1988er Gewürztraminer Spätlese aus dem Rheingau mit einer bekannten Tech-Firma des Silicon Valley zu tun hat
In der Coronazeit wird auch Weinliebhabern mal langweilig. Die bekannten Facebookgruppen werden überschwemmt von einer Mischung aus eintönigen, gemachten Publikumslieblingen und prahlerisch inszenierten Foodpairings. Wobei hier oftmals der Schein trügt, dass auf das Essen oder den Wein jeglicher Wert gelegt wird. Außenwirkung, den dicken Max mimen und mit reißerischen Kommentaren Weinneulinge verschrecken, stehen hier an der Tagesordnung. Was ist also die Alternative zum sogenannten sozialen Netzwerk? Die Antwort lautet: experimentieren.
Zugegebenermaßen ist Ebay keine Plattform die für hochwertige Weine bekannt ist und eben drum, sollte man es mal probieren. Konvolut, eine gefühlt eigens für Ebay erfundene Bezeichnung, die in der Regel einen Haufen Müll attraktiv erscheinen lassen soll, ist das Zauberwort. Wundertüten aus fremden Kellern, Nachlässe mit unbekannten Lagerbedingungen und Verkäufer, die kaum einen Schimmer haben, was sie da veräußern. Je unprofessioneller die Fotos, desto ansprechender für mich. Gleiches gilt übrigens für Rechtschreibfehler in der Beschreibung.
Der Proband: Schönleber-Blümlein Oestricher Lenchen Gewürztraminer Spätlese 1988
Nun klickte ich mich durch diverse Angebote und blieb bei einem Sammelsurium von alten Weinen hängen. Die Füllstände nicht alle perfekt, die Etiketten größtenteils verdreckt und der Preis: lächerlich. Ich bot siegessicher meine 25 Euro und der Wein war mein. Als der Postbote bei mir klingelte, war ich verdutzt. Unwissentlich habe ich nicht sechs, sondern zwölf Flaschen erstanden. Ein beherzter Lacher schoss aus mir raus und ließ mich wie ein Zwölfjähriger am Weihnachtstag um den Esstisch tanzen.
Die dreckigen Flaschen packte ich aus und freute mich über den vielen Staub, der sich auf ihnen gesammelt hatte. Nicht wegen des coolen used looks, viel mehr, weil ich mir sicher sein konnte, dass diese Flaschen weder in einer Küchennische, noch im Kleiderschrank gelagert wurden. Welchen Wein suche ich denn nun für meinen ersten Artikel auf Champagner & Schorle aus. Riesling? Auch gereift weitestgehend bekannt. Ruländer? Gabs schon. Gewürztraminer! Spätlese! 1988! Zwar habe ich auch eine Flasche des allseits hochbejubelten 1989er Jahrgangs des gleichen Weins, aber was interessiert mich das Jahrgangsgeschwätz selbsternannter Weinkenner…
In China steht die Zahl Acht mitunter für viel Glück, ein langes Leben und einen reichen Kindersegen. Perfekt! Also wünsche ich mir viel Glück und stelle die Flasche in den Kühlschrank.
Lasset die Freakshow beginnen:
In der Nase irgendwo zwischen Orangeat, Dill und Kernseife, wirkt er wie ein Hippie, der sich auch mit 40 noch zu den jungen Wilden zählt. Im Mund hingegen wirkt das ganze frisch, stimmig und wirklich, naja: angenehm. Sanft wie der Beischlaf des Papstes umschmeichelt er die Zunge mit Orangenmarmelade, trockener Aprikose und einer muskatnussartigen Bitterkeit. Etwas wie Aperol würde der Laie sagen, wo ich ebendiesem kopfnickend zustimmen würde. Alles in allem weit ab von der Norm, jedoch einer der besten Gewürztraminer, den ich je im Glas hatte. Großes Kino und ein echter Glücksgriff. „Wie muss der 89er dann erst sein“, frage ich mich und stecke die Nase wieder tief ins Glas.