Juan Gil kann in Jumilla dank alter Gobelets auf Bewässerung verzichten und auf die Selbstregulierungskraft autochthoner Rebsorten vertrauen.
Monastrell ist ein echter Überlebenskünstler. Selbst hier, 80 Kilometer vom Küstenort Alicante entfernt im Hinterland Murcias, wo außer ein paar knochigen Sträuchern kaum etwas ohne künstliche Bewässerung gedeihen will, tragen die alten Gobelets satte Beeren und grüne Blätter. Als ich im September Jumilla besuche, gab es die vergangenen Monate keinen Regen. Selten regnet es mehr als 300 Milliliter pro Quadratmeter und Jahr, etwa ein Drittel so viel wie in Deutschland. Fast alles davon fällt im Winter und im Frühling, und das meiste versickert rasch durch die groben, steinigen Böden.
Das Weingut Juan Gil ist eigentlich eine Weingutsgruppe und bewirtschaftet mittlerweile mehr als 750 Hektar verteilt auf zehn Bodegas in Jumilla, Calatayud, Montsant, Rioja, Castilla y León, Rueda, Galizien, La Mancha und Aragón. Die wenigsten ihrer fast 100 Weine führen Juan Gil im Namen, weswegen die Aktivität der Gruppe nicht immer offenbar wird. Da es mir vor allem darum geht, das Potenzial der wunderbaren Rebsorte Monastrell herauszuarbeiten, werde ich nicht auf alle Bodegas eingehen. Kurz: alle leisten gute Arbeit und alle stehen für einen modernen, sehr gesellschaftsfähigen Stil.
Zwar gehen die Wurzeln der Gils als weinbautreibende Familie bis ins Jahr 1916 zurück, das Unternehmen in seiner heutigen Form wurde aber erst 2001 von den Brüdern Miguel und Angel Gil gegründet. Den tiefdunklen Weinen Jumillas eilte damals kein großer Ruf voraus. Fast ausnahmslos wurden sie im Fass an große Kellereien verkauft, die Weine galten als rustikale, einfache Deck- und Tavernenweine. Dass Jumilla heute eine breitere Öffentlichkeit als Anbaugebiet auf dem Schirm hat – wenn auch weniger in Deutschland –, ist nicht zuletzt auf das Engagement der Gils zurückzuführen.
Das Juan-Gil-Trio
Wie in alten, aber erst spät aufstrebenden Weinregionen üblich, passieren im Stammhaus von Juan Gil viele Dinge gleichzeitig. Einerseits wurzeln tausende uralte Gobelets um das Kellergebäude herum, viele an die hundert Jahre alt und wurzelecht. Die Reblaus schaffte es nie bis in den kargen, steinigen Nordosten Jumillas. Andererseits findet sich im Keller nur neueste Technik: schonende Rüttelbänder statt quetschender Schnecken an der Traubenannahme; eine optische Sortiermaschine, die Stiele, Blätter und unreife grüne Trauben mit präzisen Kameras erkennt und durch millimetergenaue Luftdruckschüsse von den reifen Beeren trennt; Cross-Flow-Anlagen für effiziente und belastungsarme Filtration.
Dementsprechend rein und blank sind die Weine, auch wenn im Weinberg nicht viel aussortiert wird, die Mengen riesig und die Preise moderat sind. Der Yellow Label Monastrell ist für unter zehn Euro zu haben und wird als Evergreen in zahlreichen spanischen Bars und Restaurants verkauft. Völlig zurecht! Für kleines Geld bekommt man sehr wahrhaftigen Wein, der die Extreme des Terroirs gut widerspiegelt. Klar, Monastrell mit seiner molligen Art muss man mögen, das vorausgesetzt kann man 10 Euro aber nicht so einfach besser investieren.
Der beste Wein der Juan-Gil-Linie ist der Silver Label (ca. 14 Euro), eine etwas länger fassgereifte Selektion des Yellow Label, der nach zwölf Monaten in alten Barriques zwar nicht großartig komplex aber authentisch nach Lorbeer, Brombeere und Tinte schmeckt. Der schwächste Part des Trios ist für mich ausgerechnet der überbordend marmeladige Blue Label für knapp 26 Euro, für den die Gil neben Monastrell auch auf Cabernet Sauvignon und Syrah setzt.
Alte Neue Welt
Dass die eingeführten Sorten eigentlich nicht nach Jumilla gehören, verrät schon ein Blick auf die Zahlen. 100 Prozent der zu Gobelets erzogenen Monastrell-Stöcke können ohne Bewässerung überleben. 0 Prozent sind es bei den im Kordon gezeilten internationalen Rebsorten. Bewässerung ist möglich, aber kostspielig. Regelmäßig ist es teurer, einen Hektar zu bewässern, als einen Hektar zu kaufen, erzählt mir María Dugnol, die als Vertriebsleiterin die Gil Family Estates im Ausland vertritt. Trotzdem setzten viele in der Region vor zwanzig Jahren auf Cabernet und Co, die einfacher zu vermarkten waren, als die verrufenen Monastrell.
Bio im Handumdrehen
Seit das Ansehen der Region gestiegen ist, geht die Neupflanzung internationaler Rebsorten aber zurück, auch bei Juan Gil. Zwar bringen die mit mehreren Metern Stockabstand gepflanzten Monastrell-Weinberge nicht mehr als 1500 Kilogramm Ertrag pro Hektar, aber Platz scheint nicht die wesentliche limitierende Größe zu sein, in einer Region, in der ein Weingut in 20 Jahren mehrere hundert Hektar erwerben konnte.
Überlebenskünstler sind die Monastrell-Gobelets auch in Hinsicht auf ihre Resilienz gegen Pilzkrankheiten. Durch die gute Durchlüftung und die ausbleibenden Niederschläge während der Vegetationsperiode kann Juan Gil schon seit einigen Jahren Biolandwirtschaft ohne Abstriche betreiben, die alten Gobelets brauchen nicht einmal Kupfer. Oidium und Peronospora stellen kein Problem dar, maximal haben die Beeren im Herbst mit minimalem Botrytisbefall zu kämpfen. Als ich María Dugnol frage, was die größte Herausforderung in der Umstellungsphase war, lacht sie und sagt: „Der Papierkram“. Mit dem Jahrgang 2023 werden alle Gil-Weine aus Jumilla zertifiziert sein; die weiteren Bodegas sollen folgen.
Juan Gil El Nido: Verfehlter Fokus auf Cabernet Sauvignon
Das Aushängeschild der Gil Family Estates ist der Cabernet-Monastrell-Blend El Nido von der gleichnamigen Bodega nur ein paar Hundert Meter vom großen Juan-Gil-Keller entfernt. Alles schreit hier nach Icon Wine. Eine Flasche kostet knapp 150 Euro. Der Flying Winemaker heißt Chris Ringland und lebt in Australien. Die offenen Maischetanks wurden extra von dort nach Spanien geschifft, weil sie exakt die Form haben, die Ringland bevorzugt, wie mir Angel Gil erzählt. Die Weine reifen zu 80 Prozent in neuen französischen Barriques und zu 20 Prozent in neuen Barriques aus amerikanischem Eichenholz, das 26 Monate in Australien gereift wurde. Die Flaschen des El Nido sind so bullig, dass sie per Hand etikettiert werden müssen, in die Maschine passen sie nämlich nicht. Die gesamte Bodega verwendet nur die ersten, mit niedrigem Druck gewonnenen Pressfraktionen. Die sogenannte Taille, die zweite Pressfraktion mit mehr Gerbstoff und weniger Säure, wird im Haupthaus weiter verwertet.
Das alles macht aus dem El Nido einen mondänen Wein, dicht, konzentriert und dick auftragend. Obwohl der Alkoholgehalt mit 15,5 Volumenprozent nicht gerade Finesse verspricht, ist der Wein gut balanciert und erstaunlich trinkanimierend. Das Holz posaunt sich selbst heraus, zeugt dabei aber immerhin von sehr hochwertigen Fässern. Ringland und die Gil Familie wissen, die hohen Herstellkosten treffsicher in Aromatik umzumünzen. Ohne Frage: El Nido ist ein perfekt gemachter Rotwein innerhalb seines Stils. Wer maximale Konzentration, Intensität, Holz, Alkohol und Dörrpflaumen sucht, wird hier fündig.
Der größere Wein ist für mich aber – ähnlich zu Silver und Blue Label – der Clio genannte Zweitwein von El Nido. Ich führe das vor allem auf das invertierte Rebsortenverhältnis zurück. El Nido besteht zu 70 Prozent aus Cabernet Sauvignon und zu 30 Prozent Monastrell. Bei Clio machen die 85 Jahre alten Monastrell-Reben 70 Prozent aus, was der Wärme und dem Holzkitsch, einen Strengepol entgegensetzt, der El Nido fehlt, um das letzte Quäntchen Komplexität zu entfalten. Clio verspricht dafür viel konzentrierte Frucht und Röstaromen, Heidelbeertarte mit Zartbitterschokolade, getrocknete Aprikosen, Lorbeer, Wacholder, schwarzen Kaffee und eine wunderbare tintig-teerige Fülle. Ohne alle probiert zu haben, vermute ich, mit Clio einen der besten Weine Jumillas im Glas zu haben.
Um ehrlich zu sein, leuchtet mir nicht ganz ein, wieso Juan Gil ausgerechnet für das Prestigeobjekt des Unternehmens auf eine Rebsorte setzt, die nicht viel mit der DNA der Region zu tun hat. 85 Jahre alte wurzelechte Gobelets autochthoner Sorten versus 20 Jahre alte Trendsorten, die hier in den Bergen ohne Krücken kaum laufen können? Come on…
Zumal der hyperreife, auf volle Reife und Konzentration schielende Stil des Hauses viel besser zu Monastrell als zu Cabernet Sauvignon passt.
„Genau das suchen wir“, sagt Mariá und zeigt mir eine Monastrell-Traube mit kleinen, dunkelblauen Beeren, deren Haut bereits so schrumpelig ist, dass Winzer im Burgund, in Deutschland oder in Bordeaux sie wohl als überreif verwerfen würden. Aber Monastrell scheint damit klarzukommen. Auch wenn auf dem Etikett des Clio 15,5 Volumenprozent Alkohol stehen, wirkt er für mich nicht überladen, ebenso wenig haben Silver und Yellow Label mit dem Alkohol zu kämpfen. Corteo – ein Syrah von der Bodega El Nido – und Blue Label wirken bei denselben Werten schon deutlich schwerfälliger. In Zeiten steigender Alkoholgehalte entpuppt sich Monastrell als Sorte der Zukunft. Auch um die Lagerfähigkeit von Monastrell muss man sich keine Sorgen machen. Kaum ein Wein reift besser als Bandol, der an der französischen Mittelmeerküste aus Mourvèdre gekeltert wird, wie Monastrell in Frankreich heißt.
Wundersamer Monastrell
Dass Monastrell es wie keine andere Sorte vermag, die Sorgen vor der Zukunft des Weinbaus in Zeiten des Klimawandels wegzublasen, zeigt auch ein Blick in die Wissenschaft. Um das zu erläutern, muss ich ein wenig ausholen. Aber es lohnt sich.
Im Sommer – eigentlich für eine Reportage über Bordeaux im Sommelier Magazin – lernte ich Marc Plantevin vom Institut des Sciences de la Vigne et du Vin kennen und durch ihn das Konzept von Isohydrizität und Anisohydrizität, mit dem Wissenschaftler die Strategien verschiedener Rebsorten bei Wasserknappheit beschreiben. Isohydrische Sorten schließen ihre Stomata sehr schnell, um Verdunstung zu minimieren, anisohydrische Sorten schließen ihre Stomata viel später und verbrauchen das letzte verfügbare Wasser; sie hyperventilieren förmlich und hören erst auf, Fotosynthese zu betreiben, wenn gar nichts mehr geht. Die beiden Strategien kann man sich als Kontinuum vorstellen, sehr isohydrisch sind Sorten wie Touriga Nacional oder Xinomavro, sehr anisohydrisch verhält sich Pinot Noir, viele Sorten liegen irgendwo in der Mitte. „Man kann sie sich als Pessimisten und Optimisten vorstellen. Die einen sparen Wasser und verringern ihren Wasserverbrauch, die anderen verbrauchen alles, was da ist“, beschreibt es Marc.
Nun zurück zu Monastrell: in einem Ausmaß wie keine andere Rebsorte scheint Monastrell in der Lage zu sein, seine Strategie von Gegebenheit zu Gegebenheit zu ändern, und weder zu viel Wasser zu verschwenden noch sich kaputtzusparen. Die grundsätzlich isohydrische Sorte, kann in manchen Situationen fast auftreten, wie eine anisohydrische – ein entscheidender Vorteil in Regionen, in denen der gesamte Niederschlag geballt in wenigen Monaten fällt. In Südspanien ist das schon immer so, aber auch die Regionen in Nord- und Mitteleuropa werden mehr und mehr zu Winterregenregionen. Zwar beziehen sich Marcs Untersuchungen auf kleine Datensätze und er als Wissenschaftler ist naturgemäß vorsichtig, unfundierte Behauptungen zu treffen, dennoch vermutet er: „Vieles deutet darauf hin, dass Mourvèdre in der Lage ist, seine Strategie immer wieder zu ändern, um die perfekte Balance zu finden, zwischen Aufnahme von Kohlenstoff und Verhinderung von Schäden durch Wassermangel. Und dabei produziert er fantastische Weine!“
Ausgerechnet Jumilla?
Vielleicht sind entgegen der Intuition gerade die trockenen, heißen Regionen Südeuropas die Gewinner der Klimakrise. Fasst man Trockenstress und die Zwangslage zum Erhalt der Biodiversität als die zwei großen landwirtschaftlichen Herausforderungen für die nächsten Dekaden auf, wird klar: Juan Gil bereitet weder Wassermangel noch Pilzdruck durch Bioanbau große Probleme.
Im auf chemische Spritzmittel verzichteten Bioweinbau ficht Kupfer den Kampf gegen Pilzkrankheiten fast alleine aus. Aber Kupfer sammelt sich im Boden an, was auch keine Dauerlösung sein kann. Alternativen wie Taegro – ein versiegelnder Pilz, der in Konkurrenz mit Botrytis und Co tritt, der Pflanze aber nicht schadet – sind bislang deutlich teurer und weniger effektiv als Kupfer. Weinbau, wie Juan Gil, fast ohne Kupfer betreiben zu können, dürfte zukunftssicher sein.
Das zweite Problem, Trockenstress, tritt in Jumilla nur dort auf, wo man es sich mit modischen Rebsorten selbst geschaffen hat. Die Selbstregulierung der Natur ist enorm und immer wieder faszinierend. Eine kontraintuitive Lehre der Klimakrise ist auch, dass es manchmal am besten ist, einfach nichts zu tun und prä-industrielles Erbe unangetastet zu lassen. Kurzum: mehr Mut zu Monastrell! Auch, weil Juan Gil den Mut selbst spendet.