Warum die Königin der Schaumweine viel mehr ist als ein Aperitif für Angeber
Ich trinke leidenschaftlich gerne Champagner und dieser Blog würde nicht Champagner & Schorle heißen, wenn die Region im Nordosten Frankreichs nicht eine ganz besondere Rolle in meiner persönlichen kleinen Weinwelt spielen würde. Nur – und das verwundert immer wieder – trinke ich Champagner fast nie zum Aperitif und auch nicht zum Anstoßen. Ernest Hemingway schreibt in seinem Roman Fiesta: “Dieser Champagner ist zu gut, um damit Toaste auszubringen. Mit einem solchen Wein sollte man nicht Gefühle vermischen wollen. Man bringt sich um den Geschmack.” Und Hemingway hat recht: Manchen Weinen täte man Unrecht, sie irgendeinem Anlass unterzuordnen.
Weitere Gründe sprechen dagegen, Champagner als bloßes Aperitifgetränk zu begreifen. William Kelley, Champagne-Verkoster für robertparker.com, schreibt an einer Stelle in einem lesenswerten Bericht über uralte Weine u.a. Champagner: “Champagne is just wine”. Und so sollte Champagner – und Schaumwein überhaupt – auch aufgefasst werden.
William Kelley: “Champagne is just wine”
Wenn ich nach Tipps für eine Weinbegleitung gefragt werde, sind viele verdutzt, wenn ich sprudelige Weine in der Mitte eines Menüs empfehle. Dabei käme es mir nie in den Sinn, einen Wein bei der Entscheidungsfindung auszulassen, nur weil er CO2 enthält. Wir erinnern uns: Champagne is just wine. Und häufig ist Champagner eine echte Allzweckwaffe. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass Champagner zu fast allem passt, wovor auf Hotelfachschulen gewarnt wird.
Ich trinke Champagner zum Beispiel gerne zu grünem Salat, der ja als schwer begleitbar gilt, weil er gleichzeitig leicht, fettig und sauer ist. Auch zu Artischocken, grünem Spargel oder Fenchel, drei Gemüsen, die durch ihre ätherischen Noten schnell zu Stolperfallen werden können – und so folgerichtig vom Decanter als tricky ingredients aufgelistet werden –, passt Champagner in den meisten Fällen. Und über Champagner & Fritten habe ich ja schon berichtet. Ich erinnere mich auch an die weisen Worte des Sommeliers während meiner Kochausbildung, der alle Gänge probieren wollte, um die Weinbegleitung abzustimmen, das Dessert aber ausließ: “…dazu mach’ ich eh Rosé Champagner.”
Champagner & Speisen I: Geoffroy Expression Brut zu Käsefondue
Folgt man dem Leitsatz What grows together goes together, greift man bei Käsefondue wohl am ehesten zu einem spritzigen und leicht bitteren Fendant aus der Schweiz oder, wenn man etwas mehr Gas geben möchte, zu einem Savignin aus dem Jura. Genial entpuppt sich dazu aber auch die etwas unkonventionelle Kombination mit Brut Champagner, der genug Säure hat, um den fetten Käse aufzulockern, aber dabei nicht zu viel Frucht. Der einfache Expression Brut aus dem Hause Geoffroy besteht zu jeweils einem Drittel aus Pinot Noir, Pinot Meunier und Chardonnay, ist mit fünf Gramm dosiert und hat viel kühle Frische und dezente hefige, nussige Aromen. Klar gibt es spannendere Tropfen, doch kaum einer säße in diesem Moment fester im Sattel. Ein kargerer Brut Nature Chardonnay würde gegen die fettige Wucht des Käses zu kantig wirken. Eine molligere höher dosierte Abfüllung hätte es vermutlich versäumt, dem Gericht das essenzielle Quäntchen Frische einzuhauchen. Ein kompromissbereiter Champagner in einem Foodpairing ohne Kompromisse.
Champagner & Speisen II: David Léclapart L’Amateur Pas Dosé zu Scholle mit Seeigel und jungen Artischocken
Keine Kompromisse – und auch keine Gefangenen – macht der L’Amateur Pas Dosé von David Léclapart. Der nominal kleine aber im Glas schon ziemlich große Premier Cru-Chardonnay des unkonventionellen Champagnerhauses ist alles, was der Expression von Geoffroy nicht ist: völlig eigensinnig, weit weg vom Attribut lecker und nachhaltig faszinierend. Perfekt passt dessen Salzigkeit zu einer im Ganzen unter der Salzkruste gegarten bretonischen Scholle mit kleinen Artischocken und Seeigel-Velouté. Fisch, Schalentier und Velouté könnte vermutlich ein kühler Chardonnay von der Côte de Beaune ebenfalls begleiten, doch die kräftigen Bitteraromen der Artischocke hätte er wohl kaum derart souverän gebändigt. Mit etwas Luft – ich habe durch David Léclapart endlich das Konzept der Schaumweinkaraffe begriffen – entsteht zusätzlich zur Aromatik grüner Haselnüsse und Tafelkreide ein feiner ganz eigenartiger schlanker Schmelz – ich bin geneigt von einer Nivea-Creme-Aromatik zu sprechen –, welcher der Bitterkeit die Kanten glättet, ohne sie zu verleugnen. Ein phänomenöser Champagner zu einem phänomenösen Gericht.
Champagner & Speisen III: Janisson-Baradon Brut Rosé zu Ziegenkäse aus Banon
Champagner zu Käse zu trinken ist eigentlich nichts Neues, aber ich führe es dennoch hier auf, weil ich Menschen davor bewahren möchte, ohne darüber nachzudenken, der in vielen Fällen unsinnigen, in einigen wenigen aber auch völlig folgerichtigen, Kombination eines kräftigen Rotweins mit Käse hinterherzuhecheln. Dominique Bouchait, Gewinner des Meuilleur Ouvrier de France in der Classe Fromage und damit staatlich anerkannter Käsekönig, empfiehlt zum Beispiel gereiften Comté zu Jahrgangschampagner. Ich trinke gerne Rosé Champagner zu Ziegenkäse, am liebsten Banon, der in Kastanienblätter gewickelt reift, was ihm eine besonders nussige Rinde gibt. Innen ist Banon schneeweiß und sahnig-mild mit einem dezenten Ziegenaroma, was in der Kombination mit den kräftigen Himbeeraromen des Rosé schmeckt wie feinster Sahnejogurt ganz ohne Süße. Als Glücksgriff entpuppt sich dabei der Brut Rosé von Janisson-Baradon, der er viel Frucht, wenig Süße, keine buttrigen oder holzigen Aromen und eine dezente Herbheit mitbringt, die mit der kräftigen Rinde mithalten kann. Ein Traumpaar.
Meine nächste Champagnerbegleitung habe ich auch schon Kopf: Rührei mit Seeigel nach einem Rezept von 1977 der Gebrüder Troisgros aus dem legendären gleichnamigen Restaurant in Roanne. Hierfür soll Seeigel-Corail mit Butter in einer Kasserolle lauwarm erhitzt und in den eigenen Schalen mit cremigem Rührei angerichtet werden. Ich werde berichten. Der Titel steht schon: Champagner & Frühstück.