Auf einen Drink zum Schneider

Wieso das Les Fleurs du Mal scheitert und was Ernest Hemingway zu Bars sagen würde, in denen schon Hemingway gewesen ist

Sie blitze und blinke wie eine Bordell-Tür, sagt unser Tresennachbar über die Uhr seiner Bekannten. Er meint das wohl als Kompliment und er scheint öfter hier zu sein. Wirkt vertraut mit dem Barmann und als der Chef vorbeikommt, ist ein kurzer Plausch drin. Aber wirklich nur ein kurzer. Der Chef ist Charles Schumann und die Bar das Les Fleurs du Mal. Schumanns neueste Unternehmung im ersten Stock über der alteingesessenen Schumann’s Bar am Münchener Odeonsplatz.

Das Les Fleurs du Mal ist eine Cocktailbar wie Schumann sie sich immer gewünscht hat

Eine Cocktail-Bar, wie er sie sich immer gewünscht habe, sei das Les Fleur du Mal, so Schumann. Und in der Tat, die Architektur ist erhaben. Schlicht, dunkles Vollholz, spärlich beleuchtet. Neben nussbraun ist bordeauxrot die zweite Farbe im Raum. Soweit passt unser Tresennachbar ins Szenenbild. Ein etwas abgegriffenes weißes Hemd, pastellfarbene Weste und ein braunes Sakko. Von unten – aus der Schumanns Bar – tönt die Art von Jazz, die wohl auf ewig zeitgemäß sein wird. Durch dicke hölzerne Jalousien bekommt man gerade so viel vom Trubel, der da herrscht, mit, dass er weit genug weg ist, um nicht zu stören. Er ist aber auch nah genug, um einen wohligen Kontrast aufzuzeigen. Es ist ein bisschen wie ein Saunabesuch bei miesem Herbstwetter.

Beste Voraussetzungen also für verrucht-dekadente Speakeasy-Erlebnisse. Speakeasy-Bars gehen auf die Prohibitionszeit zurück, die paradoxerweise die Barszene geprägt hat wie kaum ein andere Episode. Dunkel, abgeschottet und leise. Es sollte ja nicht auffliegen. Speakeasy Bars transportieren diesen parallelwelthaften Charme in die Gegenwart. Wichtig ist, dass die Ausgelassenheit nie zu offensichtlich wird. Wer zum ersten Mal in solch eine Edel-Spelunke einkehrt, verwechselt die Reserviertheit oft mit schlechter Laune. Ausgelassenheit macht man in solchen Bars entweder mit sich selbst aus oder kommuniziert sie nonverbal. Und mit Nonverbalität ist kein kräftiges Anstoßen gemeint. Vielmehr feine Regungen, die sich nur deuten lassen, wenn ein gemeinsames Vorverständnis darüber vorliegt, mit was man Ausgelassenheit verbindet. Wenn es Jahrgangs-Ölsardinen gibt, kann man zum Beispiel Jahrgangs-Ölsardinen für sich und seine Begleiter bestellen. Ohne darüber viele Worte zu verlieren natürlich. Die Sardine spricht für sich. Eine gute Speakeasy-Bar ist dann eine gute Speakeasy-Bar, wenn sie der denkbar schlechteste Ort für ein erstes Date ist.

Wer großspurig anfährt, muss auch breitschultrig einparken

Problematisch ist das Les Fleur du Mal, weil es weder eine gute Speakeasy-Bar noch ein guter Ort für ein erstes Date ist. Als wir eintreten – also noch unten im trubeligen Schumann’s – werden wir recht harsch begrüßt. Mit einer intentionalisierten Form von Arroganz, die um ein vielfaches unangenehmer wirkt als eine echte, rohe, ehrliche Arroganz. Arroganz ist im gastronomischen Kontext immer auch eine Ansage. Wer großspurig anfährt, muss auch breitschultrig einparken. Oder anders gesagt, wer so breitschultrig begrüßt, muss sich auch dafür rechtfertigen können, dass es oben keine Garderobe zu geben scheint, was im Münchner November dazu führt, dass über den Lehnen der dänisch anmutenden Nussbaumstühle klobige Jacken hängen oder dass grelle Smartphone-Displays das eigentlich so ästhetisch-dumpfe optische Timbre zerstören. Das echte Timbre stört vor allem der Tresennachbar mit seinen Armbanduhr-Geschichten.

Der Tresen, der das Kernelement der Bar darstellt, sei aus einem einzigen langen Baum geschreinert, erzählt Schumann (oder beziehungsweise schumanns.de). Wieso man an diesem Baumtresen sitzend aber auf einen Touchscreen zu starren hat, der sich etwa 1,5 Meter entfernt auf Augenhöhe befindet und auf dem der Barmann gastrodeutsche Dinge, wie Bruno Paillard 0.1, Cocktail Divers oder Tom Collins eintippt, ist dann aber fraglich. Man kann sich natürlich auch einfach dazu entscheiden, sich an sowas nicht so stören. Doch wer blinkt, sollte auch bitte überholen!

“Man nimmt Platz und bespricht die Drinks persönlich mit dem Barmann – wie bei einem guten Schneider den Anzug.“ So soll es sein im Les Fleurs du Mal. Das im Hinterkopf bestellen wir keinen Drink von einer Karte, sondern erklären, was wir gerne trinken. “…irgendwas in Richtung Old Fashioned oder Sazerac. Gerne auch eine Abwandlung” “Rye oder Cognac?”, fragt der Barmann knapp und einige Minuten später stehen zwei Drinks auf dem Baum. Und die sind freilich auf hohem Niveau. Ein fast Rubik’s-Cube-großer Eiswürfel teilt sich den Platz im gefrosteten Tumbler aus Kristallglas mit einem stattlichen Old Fashioned. Doch wenn so der Besuch bei einem guten Schneider vonstattengeht, kaufen wir unsere Anzüge getrost weiter von der Stange.

Zu süß um unseren – zugegebenermaßen recht eigenartigen – Geschmack zu treffen

Man stelle sich vor, zu einem Schneider zu gehen, nach einem Anzug mit zwei Knöpfen zu fragen, auf die Frage blau oder braun mit braun zu antworten, um dann einige Wochen später einen Anzug aus wahrhaftig edler Schurwolle sein Eigen nennen zu dürfen. Was genau der wahrhaftig edle Old Fashioned enthielt, erfuhren wir nicht. Fragten aber auch nicht. Von einem guten Schneider darf man erwarten, dass er sich den feinen Unterschieden annimmt. Dass er die Distinktion zu seiner Lebenseinstellung ausruft. Dass er Taille, Revers und Hosenbein auf seinen Kunden abstimmt. Die gustatorische Hosenbeinlänge war in unserem Fall die Süße. Der Drink war nämlich zu süß. Nicht zu süß um ein handwerklich einwandfreier Old Fashioned zu sein. Doch zu süß um unseren – zugegebenermaßen recht eigenartigen – Geschmack zu treffen. Natürlich hätte man den Barmann auch einfach darauf hinweisen können. Doch wenn Schumann großspurige Analogien zieht, darf man auch individuelle Maßarbeit verlangen.

Unser Tresennachbar hat mittlerweile nach Streuselkuchen von unten gefragt und serviert bekommen – es gebe hier nämlich den besten Streuselkuchen der Stadt – , was das letzte Quäntchen Hoffnung auf eine Baratmosphäre, wie wir sie uns immer gewünscht haben, zunichtemacht. Arroganz – zumindest im gastronomischen Kontext – ist immer eine Medaille mit zwei Seiten. Und so arrogant wie wir unten begrüßt wurden, hätte man auch so arrogant sein können und sagen: “Wir sind eine Bar. Hier gibt’s keinen Streuselkuchen.” Nochmal, es geht nicht darum, dass jede Bar Garderobe und Einzelbetreuung bieten muss. Es geht auch nicht darum, dass mehr Tätscheleien aus einer guten Bar eine sehr gute machen. Es muss auch nicht in jeder Bar eine herrlich gedrückte Stimmung herrschen. Aber das Les Fleur du Mal scheitert an dem Punkt, an dem es sich selbst Standards setzt, die es nicht einhalten kann.

An diesem Abend wünscht man sich zweifelsohne mehr Aficionados und weniger Affektierte.

Die goldenen Schumann-Zeiten durften wir leider nicht mehr miterleben. Es gab mal die Geschichte, dass Charles Schumann in den 80ern oder 90ern erst ein Paar, das von der Oper kam, nicht in seine Bar lassen wollte und anschließend einen Handwerker im Kittel mit den Worten “…warst anstreichen?” freundlich in seine Bar bat. Ob die Geschichte stimmt, ist egal. Wahrscheinlich stimmt sie nicht. An diesem Abend wünscht man sich aber zweifelsohne mehr Aficionados und weniger Affektierte. Nicht mehr Stil, sondern mehr Stilsicherheit. Mehr Detailverliebtheit wie Sergio Leones Huldigung der Bar in Once Upon a Time in America und mehr Nüchternheit im hemingwayschen Sinn – dabei ist es eigentlich ein Frevel ausgerechnet aus dem Wort Hemingway ein Adjektiv zu machen! Der war in seiner Zeit als Korrespondent im Paris der 20er Jahre so häufig in der Bar des Ritz gewesen, dass sie gut 30 Jahre nach dessen Nobelpreis 1954 Bar Hemingway heißen sollte. Man kann ziemlich sicher sein, dass Hemingway zu seiner Zeit keinen Fuß in eine Bar gesetzt hätte, in der schon Hemingway war. Ob Charles Schumann damals, als er die deutsche Barszene revolutionierte, gerne Stammgast im Les Fleurs du Mal gewesen wäre? Fraglich.

Tresen Charle Schumanns Cocktail-Bar Les Fleurs du Mal am Odeonsplatz in München
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Paul Kern

Editor in Schieflage bei Champagner & Schorle

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